Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 20.04.2022

«Altstadt autofrei» hat schweren Stand

Leitartikel: Am 15. Mai wird über zwei wichtige Verkehrsfragen abgestimmt

An den beiden lokalen Abstimmungsvorlagen vom 15. Mai 2022 scheiden sich die Geister. Insbesondere die Grundsatzfrage «Altstadt autofrei?» steht im Fokus. Dabei sind jene, die ein Verbot am meisten treffen würde – die Gewerbetreibenden – grösstenteils dagegen.

 

 

Mit der Grundsatzfrage «Altstadt autofrei?» stellt der Stadtrat den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern eine Frage, die längst hätte gestellt werden müssen. Oder klar ausgedrückt – nach dem Nein zum Verkehrsentlastungskonzept F21 im März 2007. Denn seither wurden von der Stadt umfangreiche Planungen auf mehreren Ebenen und mit verschiedenen Playern angestossen – mit Nachbargemeinden, Agglomerationsgemeinden, mit der Regionalplanungsgruppe und dem Kanton – um die wichtigsten zu nennen. Als geografisches Herzstück der ganzen Region kommt der Altstadt dabei eine zentrale Bedeutung zu.

Für jetzige Lösung
Der Grossteil des Gewerbes in der Altstadt will keine autofreie Zone und ist für den Beibehalt der jetzigen Lösung mit der Begegnungszone, also Tempo 20 und Fussgängervortritt. Wie Reaktionen aus der Bevölkerung zudem zeigen, schätzen es Kundinnen und Kunden, zu den Geschäften in die Altstadt hinein zu fahren und parkieren zu können, um das Gekaufte auf kürzestem Weg ins Auto zu verladen. Denn etliche von ihnen sind nicht mehr gut zu Fuss unterwegs. Gleichzeitig besteht mit dem Zufahrtsverbot in der Zürcherstrasse am Samstag und Sonntag seit Jahren die Möglichkeit für Anlässe und Feste – was je nach Saison auch gut genutzt wird. Solche Aktivitäten würden im Gegensatz dazu unter der Woche kaum grosse Beachtung finden, denn der Aufmarsch in der Altstadt hält sich an diesen Tagen in Grenzen.

Aus Erfahrung
Fachleute haben vor langer Zeit schon gesagt, die Frauenfelder Innenstadt mit den beiden kurzen Strassenzügen wäre zu klein für eine reine Fussgängerzone. Dies mit gutem Grund, schon die vor fast vier Jahrzehnten eingeführte, verkehrsberuhigte Zone hatte negative Folgen. Ab September 1984 war die Zufahrt in die Zürcherstrasse bei der Katholischen Kirche nur noch an Werktagen von 6 bis 13 Uhr erlaubt. Gleichzeitig wurden die «Blaue Zone» aufgehoben und Parkierungsgebühren eingeführt. Mit diesem Verkehrsregime verschwanden ein stattlicher Teil der Kundschaft und damit auch etliche Geschäfte. Ein Journalist aus dem Mittelthurgau beschrieb seinen Eindruck über die Altstadt in den 90er Jahren in einem Beitrag einmal wie folgt: „Dem einzigen Menschen, dem man in der Frauenfelder Altstadt begegnet, ist das Spiegelbild im Schaufenster!“

Trendwende mit Begegnungszone
Begünstigt wurde diese Entwicklung durch das veränderte Einkaufs- und Mobilitätsverhalten der Bevölkerung. Aus Bequemlichkeit fahren viele lieber dorthin zum Einkaufen, wo es direkt beim Eingang viele Parkiergelegenheiten hat. Eine Trendwende in der Altstadt erfolgte erst mit der versuchsweisen Einführung der Begegnungszone im Jahr 2015, die ein Jahr später definitiv wurde. Seit damals darf die Altstadt von Montag bis Freitag tagsüber befahren werden und damit kehrte das pulsierende Leben auch unter der Woche in diesen Teil der Stadt zurück.

Für autofreie Altstadt
Befürworter der Vorlage für eine autofreie Altstadt ist ein Komitee aus Vertreterinnen und Vertretern von SP, CH, Grünen und GLP, die das Herz von Frauenfeld stärken möchten. Dadurch werde auch das ganze Umfeld aufgewertet. Die Zugänge zur Altstadt würden verbessert, die Fuss- und Velowege optimiert und die Strassen und Plätze aufgewertet. Das wäre dann ein weiterer Trumpf, den die Altstadt als Visitenkarte von Frauenfeld ausspielen könnte, sind sie überzeugt. Optimal eingebunden im Stadtgefüge zwischen Grossverteilern, Bahnhof, Schulen, Verwaltung, Freizeitanlagen und Wohnhäusern bringe das auch mehr Laufkundschaft und erhöhe die Attraktivität für das Gewerbe. Wie das geschehen soll, ist aber offen. Zudem hätte es in den 31 Jahren mit der halbtageweisen Zufahrt in die Zürcherstrasse doch eigentlich genügend Zeit für Belebungsversuche gegeben. Aber auch zur Verkehrslenkung machen die Befürworter keine Aussagen.

Ohne Verkehr keine Kunden
Im Weiteren hat die Vergangenheit während vielen Jahren eines aufgezeigt: Wenn der Verkehr weg ist, verschwinden auch viele Kunden und damit auch Geschäfte. Und dies schlägt den Bogen zur Aussage von Fachleuten, wonach die Altstadt zu klein ist für eine reine Fussgängerzone. Hand aufs Herz: Wer soll noch in die Altstadt gehen, wenn die Geschäfte mangels Kundschaft dicht gemacht haben?

Und der Verkehr?
Ausserdem gibt’s mit dem Rathausplatz direkt neben der Altstadt einen Verkehrsknoten mit über 20 000 Fahrzeugen pro Tag, was seit vielen Jahren einiges höher ist als beim Gotthard-Tunnel, der von durchschnittlich 17 000 Fahrzeugen befahren wird. Die täglich mehrfachen, langen Staus auf der St.Gallerstrasse/Postplatz/Rheinstrasse/Zürcherstrasse dürften mit einer autofreien Altstadt mangels Ausweichmöglichkeiten und wegen des Suchverkehrs für Parkplätze weiter zunehmen. Dabei nimmt das Verkehrsaufkommen auch in Frauenfeld seit Jahren zu, was mit der steigenden Mobilität der Bevölkerung so bleiben wird. Aus diesem Grund ist jetzt der falsche Zeitpunkt für eine autofreie Altstadt.

Seltsames Vorgehen
Ausserdem: Dass nun exakt jene Kreise eine autofreie Altstadt wollen, die sich damals gegen die notwendige Verkehrsentlastung des Stadtzentrums ausgesprochen haben, ist irritierend. Schliesslich beinhaltete jenes Projekt mit dem Namen F21, das 2007 an der Urne knapp scheiterte, neben dem Bau des Tunnels vom Altweg zur St. Gallerstrasse auf Höhe Walzmühle für den Hauptverkehr, auch einen verkehrsberuhigten Altstadtkern. Dies freilich interessierte damals trotz in Aussicht gestellter Fertigstellung für Ende 2011 und Kostenanteil für die Stadt im Umfang von gerade mal 11,5 Mio. Franken aber kaum jemanden.

Fehlende Information
Weniger umstritten ist bei der Abstimmung am 15. Mai der Rahmenkredit über 11,3 Mio. Franken zur Aufwertung der Strassenräume in der Innenstadt. Allerdings fehlen in der Abstimmungsbotschaft konkrete Informationen, wie und für welche Projekte das Geld eingesetzt werden soll. Dies wiederum entspricht keineswegs den Gepflogenheiten bei Kreditvorlagen in dieser Grössenordnung. Ausserdem ist es auch nicht alltäglich, über einen Kredit zur Aufwertung von Strassenräumen zu beschliessen, bevor die Frage betreffend Verkehrsentlastung abschliessend geklärt ist.

Andreas Anderegg


Ausserhalb der Altstadtkante
Ebenfalls wichtige Pfeiler für das Einkaufen in der Innenstadt sind neben den Altstadtgeschäften die Geschäfte und Betriebe an den Einfallsachsen – in der Vorstadt, beim Kreuzplatz und entlang der Rheinstrasse. Dazu gehören auch die beiden in den 90er Jahren erstellten Einkaufszentren Passage (1993) und Schlosspark (1999), die aber beide ausserhalb der Altstadtkante stehen. Aus diesem Grund sind sie nur bedingt zu Fuss gut erreichbar. Beim Goldenen Adler gibt es zwar eine öffentliche Liftanlage, das Projekt für eine solche Anlage beim Gasthof zum Falken scheiterte damals aber im Zuge einer Referendumsabstimmung an der Urne.
(aa)