Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 27.09.2023

Vom Mund in die Harnröhre

Rekonstruktive Eingriffe in der Urologie

Eine Verengung der Harnröhre kann nach traumatischen Blasenkathetereinlagen, Verletzungen durch einen Unfall, durch Operationen, nach Bestrahlungen oder aber auch nach chronischen Entzündungen der Harnröhre auftreten. Unter Verwendung von Wangenschleimhaut lässt sich eine solche Verengung aber operativ beheben. Seit gut einem Jahr werden solche Eingriffe auch in den Spitälern der Spital Thurgau AG vorgenommen. 

 

 

Beschwerden, hervorgerufen durch eine Harnröhrenverengung, können vielfältig sein. Die Betroffenen müssen tags wie nachts häufig zur Toilette, beim Wasserlösen können Schmerzen auftreten oder aber es fällt schwer oder ist gar unmöglich. Weitere Anzeichen können ein sehr dünner oder gespaltener Harnstrahl sowie ein Nachträufeln sein. Überdies kann in der Blase auch Restharn übrig bleiben – womit die Blase nie ganz leer wird. Das könnte unter anderem auch zu Infektionen führen. In der Überzahl betroffen von Harnröhrenverengungen sind Männer, bei Frauen kommt eine solche Verengung nur selten vor.


 


Behandlungsmethoden


Um diese Beschwerden am Ursprung zu bekämpfen, gibt es diverse Therapieoptionen. Es gibt neuerdings die Möglichkeit einer Harnröhren-Erweiterung durch Einbringen eines medikamentös beschichteten Ballonkatheters, der im Bereich der Engstelle aufgeblasen wird und somit die Engstelle erweitern soll. Langzeitergebnisse dieser Methode liegen jedoch noch nicht vor. Oft wird als erstes jedoch eine Urethrotomia interna gemacht – mit einem kleinen Schnitt wird die Verengung endoskopisch (durch die Harnröhre) erweitert.


Wurde dies bereits ein- oder zweimal gemacht und kommt es wieder zu einem Rezidiv, wird leitliniengerecht eine alternative Lösung empfohlen. Denn: «Das Problem der Harnröhren-Schlitzung besteht darin, dass die narbigen Verengungen in 30 bis 70 Prozent der Fälle nach ein paar Monaten wieder rezidivieren können», sagt Privatdozent Dr. Jörg Seibold, Konsiliararzt Urologie der Spital Thurgau AG. Dann komme die rekonstruktive Urologie zum Zug.


 



Robuste Schleimhaut


«Wir empfehlen in einem solchen Fall eine Harnröhrenkonstruktion unter Einbezug guter Schleimhaut. «Dafür eignet sich die Wangenschleimhaut perfekt», sagt Dr. Christoph Kümmel, Oberarzt der Urologie der Spital Thurgau AG. «Die Entnahmestelle ist gut erreichbar und es steht genügend Material zur Verfügung. Im Mund treten kaum Entzündungen auf, die Wangenschleimhaut ist an Feuchtigkeit gewohnt, ist beweglich und hat keine Haare», ergänzt Jörg Seibold. Daher sei sie wegen der Robustheit und Widerstandsfähigkeit ideal für Rekonstruktionen in der Harnröhre.


 


Der Eingriff


Die Erfolgsrate dieser Option liegt gemäss Jörg Seibold bei zirka 95 Prozent. Die Engstelle in der Harnröhre wird mit der Wangenschleimhaut erweitert. Dies sei zwar ein grösserer Eingriff als eine Harnröhrenschlitzung, aber das Problem werde dauerhafter gelöst, sind sich die beiden Urologen einig. Im schlimmsten Fall – bei hochgradiger Einengung – kann ein narbiges Stück auch komplett entfernt und die Harnröhrenenden mit einer End-zu-End-Anastomose wieder zusammengenäht werden. 


Normalerweise befinden sich Patientinnen und Patienten nach diesem Eingriff fünf Tage im Spital. In der Folge dauert die Heilung dann rund drei Wochen, in der ein Katheter getragen werden muss. Ein besonderes Augenmerk liegt – wie bei allen Eingriffen – auch hier auf der Diagnostik. Dabei wird die Verengungen genau lokalisiert und bestimmt, wie viel Wangenschleimhaut benötigt und dann auch entnommen werden muss. Entnahme und Harnröhren-OP werden in derselben Operationssitzung gemacht, die durchschnittlich zwei Stunden dauert, wie Christoph Kümmel sagt.  Michael Anderegg