Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 24.01.2024

Die "Schöfli" sind los!

Auf den Spuren der Wanderherden

Wie bereits in der letzten Ausgabe im Dezember berichtet, ist aktuell eine der rund 30 (Winter-)Wanderherden, die jährlich durch die Schweiz ziehen, in der idyllischen Umgebung unserer Frauenfelder Woche unterwegs. Von weit her ertönen blöckiges «Bäääää», ein paar «Glöggli» und die Rufe des Schafhirten. 

 

 

Schafe sind sehr kälteresistent, können ihr Futter sogar aus einer mehreren Zentimeter dicken Schneeschicht herausschürfen und auch gefrorenes Gras fressen. Bildet sich jedoch eine frostig kompakte Eisschicht, so müssen die Tiere zusätzlich gefüttert oder die Winterwanderung vorzeitig beendet werden.


 


Schafhirtenkultur Schweiz


Der Hirtenberuf hat eine weltweite, jahrtausendealte Tradition, die durch landwirtschaftliche Modernisierung und die heutige, schnelllebige Gesellschaft beinahe verloren ging.


Ein neues Bewusstsein im Umgang mit der Natur, differenzierte Sömmerungsbeiträge sowie die Rückkehr der Grossraubtiere (u.a. Wolf und Luchs) trugen erfreulicherweise dazu bei, die Wichtigkeit des Hirtenberufs aufzuzeigen und das tierbezogene Brauchtum weiterzuführen.


Eine einzigartige Reise 


Inmitten der verschneiten Weiten Mostindiens begann Anfang Dezember ein unvergesslicher Marsch. Eine Wanderherde von mehreren hundert Schafen – begleitet von Christian Unterholzner und seinem treuen Border Collie Nip – machte sich auf den Weg durch die malerischen Landschaften unserer Region.


«Wir starteten mit knapp 30 Zentimeter Neuschnee, was zwar romantisch, aber gleichzeitig auch ein wenig ‘ungemütlich’ war», erzählt der 36-jährige Hirte im persönlichen Gespräch. 


Die eindrückliche Truppe setzt sich aus mehreren Herden – von drei verschiedenen Bauern stammend – zusammen. «Anfangs dauert es ein paar Tage, bis sich die Schafe an die neue ‘Schar’ gewöhnt haben. «Die Lämmchen suchen ihre Mütter und es herrscht ein wildes Blöcken, das sich nach ein paar Tagen wieder legt», erklärt der erfahrene Hirte.


Christians Leidenschaft für Schafe geht über das rein Wirtschaftliche hinaus. Aufgewachsen in Völlan, oberhalb von Lana im Südtirol, zog er mit 25 Jahren in die Schweiz, um die Passion für Schafe und Hunde zu seinem Lebenswerk zu machen und zur Erhaltung des wertvollen Hirten-Vermächtnisses beizutragen. 


Mit dem Kauf eines eigenen Bauernhofes in Curaglia, der Bündner Surselva, hat sich Christian Unterholzner im Jahre 2016 seinen lang ersehnten Traum erfüllt und sich in den vergangenen Jahren zu einem namhaften Bio-Schafbauern mit rund 350 Schafen etabliert. «Meine erste, eigens gemolkene Schafsmilch habe ich damals in der kleinen Dorfkäserei verarbeiten lassen. Ebenso konnte ich für die Käserei Prättigau melken. Daraufhin Produkte wie Käse und Joghurt aus der eigenen Schafszucht in den Händen zu halten, war definitiv etwas Besonderes», berichtet Unterholzner weiter.


Den Sommer geniesst der engagierte Hirte auf seiner gepachteten Tschinglen-Alp in Elm beim Martinsloch und bringt durch die genannte Vergangenheit wertvolle Erfahrungen in die aktuelle Winter-Wanderherde mit ein.


 


Die Route der Wanderherde


Die Wanderroute begann am ersten Dezember-Wochenende in Wittenwil und führte über Gachnang bis fast nach Frauenfeld. Weiter geht es durch das idyllische Turbenthal und später zurück nach Matzingen, bis die wollige «Kompanie» zum Schluss wieder nach Wittenwil zieht. Diese Schlaufe erstreckt sich über mehrere hundert Kilometer und gewährt den Schafen die Möglichkeit, verschiedene Weidegebiete zu erkunden.


Auf die Frage hin, wie die grünen «Gourmethäppchen» ausgewählt werden, weiss der kundige Hirte: «In vergangenen Zeiten war es ein ungeschriebenes Gesetz, dass Wiesenflächen von Wanderherden genutzt werden dürfen. Diese Gepflogenheit war nicht nur von ökonomischer Bedeutung, sondern trug auch zur Pflege der Landschaft bei. Im Laufe der Zeit entwickelte sich ein bewussterer Umgang mit dieser Praxis und es hat sich als sinnvoll erwiesen, nach Möglichkeit das persönliche Gespräch mit den Landbesitzern zu suchen und die Weiden nur kurzzeitig zu nutzen.»


Ausserdem würden die Schafe nicht alle «Häppchen» mögen. «Gülle mögen sie ungefähr so gerne wie wir», meint Christian schmunzelnd. Ebenso seien schlammige Böden nicht allzu beliebt – für beide Parteien.


«Ist der Untergrund lehmig feucht, kann ich mit der Herde nur kurz verweilen, um die Wiesen nicht zu zerstören. Ausserdem ist das nächtliche Einzäunen der Schafe bei solchen Bedingungen ungünstig.»


 


Vielfalt der Schafsrassen


Die Winter-Wanderherde setzt sich aus den verschiedensten Schafsrassen zusammen, darunter Tiroler und Engadiner Bergschafe, Weidelämmer, Dorper-Schafe, Spiegelschafe, weisse Alpenschafe, Suffolk-Schafe und Blackface-Schafe. Ganz nach dem weisen Zitat des Philosophen Heraklit: «Die schönste Harmonie entsteht durch das Zusammenbringen der Gegensätze.» Dabei ist das jüngste Lämmchen erst einen Monat und das älteste Schaf bereits um die 7 Jahre alt.


 


Herausforderungen unterwegs


Unterwegs wird Hirte Christian Unterholzner von einem weiteren Schafbauern und seiner Partnerin sowie deren Hunden unterstützt. Gemeinsam meistern sie eine Vielzahl von Herausforderungen; Von der Auswahl geeigneter Grünflächen bis zum Schutz vor natürlichen Feinden wie Füchsen, Krähen und anderen «Raubtieren». Die weite Exkursion erfordert sowohl Geschick als auch Pioniergeist, Geduld und einen robusten Durchhaltewillen, um der klirrenden Kälte zu trotzen.


Die «Winterexpedition» der wetterfesten Hirten ist jedoch nicht nur eine Unternehmung mit Schafen, sondern auch eine Reise der Herzlichkeit und Unterstützung durch die lokale Bevölkerung. Entlang ihrer Route begegnen sie immer wieder hilfsbereiten und aufgeschlossenen Menschen, die sich beeindruckt von ihrer Hingabe zeigen und ihnen Aufmerksamkeiten in Form einer heissen Tasse Kaffee, warmem Essen oder einem «Schnäpsli» anbieten. Diese Gesten der Solidarität erwärmen nicht nur den Magen, sondern auch das Herz.


Das Wintercamping im rustikalen «Wohnwagen» ohne Heizung mag für viele undenkbar erscheinen, aber für Christian ist es eine bewusste Entscheidung. Während die Schafe auf den Weiden unter dem Schutz der Natur stehen und nachts eingezäunt werden, verbringt er die kalten Winternächte in seinem mobilen Zuhause. Die fehlende Heizung sei nicht immer gemütlich, für den Hirten hingegen Teil des Abenteuers.


 


Herdenregulierung


Im Verlauf der grossen Wanderschaft erscheint in regelmässigen Abständen der Schafbauer, welcher seine Schafe in Christians Obhut gegeben hat – mit einem speziell ausgestatteten Wagen – der sogenannten Sortieranlage. Dieses mobile System ermöglicht eine präzise und effiziente Kontrolle der Schützlinge. Jedes Schaf trägt einen individuellen Chip, der es eindeutig identifiziert. Die Sortieranlage nutzt diese Chips, um die Daten jedes einzelnen Tieres einzulesen und weitere aktuelle Informationen zu erfassen,  einschliesslich des Gesundheitszustandes.


Ein weiterer entscheidender Aspekt ist die Überprüfung, ob das gewünschte Schlachtgewicht erreicht wurde. «Leider rentiert die Wolle heutzutage praktisch nicht mehr, sodass die Schafe vorwiegend wegen ihrer Milch und des Fleisches gehalten werden», erklärt der Hirte.


Nach der Überprüfung und Auswertung wird entschieden, welche Schafe in der Herde bleiben und wessen «Lebensweg» zu Ende ist.


«Die Grössenregulierung und die gezielte Auswahl der Tiere unterstützen eine nachhaltige Bewirtschaftung. Dieser Ansatz stellt sicher, dass die Weiden nicht überbeansprucht werden und die Schafe unter optimalen Bedingungen sowohl leben als auch gedeihen können», so der Schafbauer weiter.


Die Sortieranlage ist somit nicht nur ein technologisches Hilfsmittel, sondern ein integraler Bestandteil einer verantwortungsvollen Schafhaltung. In der Verbindung von traditionellem Hirtenhandwerk und moderner Technik schafft sie eine harmonische Balance, welche die Gesundheit der Tiere und die Effizienz der Herdenführung gleichermassen fördert.


 


Die Rolle der Hunde


Ein zentraler Akteur, Gefährte und Arbeitspartner ist Christians Border Collie Nip. Der Hirtenhund spielt eine entscheidende, unverzichtbare Rolle beim Führen der Schafherde und trägt massgeblich zu einem reibungslosen Ablauf der Herdenwanderung bei. Seine Fähigkeiten  sind das Ergebnis von intensivem Training und praktischer Erfahrung. Christian Unterholzner investiert viel Zeit, um sicherzustellen, dass Nip seine Aufgaben effizient, korrekt und harmonisch ausführt.


Die Hauptaufgabe des Hirtenhundes besteht darin, die Schafe zu lenken, zusammenzuhalten und vor möglichen Gefahren zu schützen. Die Kommunikation zwischen dem Hirten und seinem Hund findet durch gezielte Kommandos statt und ihre enge Zusammenarbeit beruht auf Vertrauen sowie einer tiefen Verbindung zwischen Mensch und Tier. Dies sorgt unter anderem für das Wohlbefinden der Tiere.


Ein Blick in die Zukunft


Die Winterherde ist für Christian nicht nur ein «Streifzug» durch malerische Schneelandschaften, sondern auch eine weitere Forschung durch die Geschichte der Schafzucht. In einer Zeit, in der die Welt immer rasanter wird, erinnert dieses aussergewöhnliche Unterfangen daran, wie wichtig es ist, die natürlichen Rhythmen des Lebens zu schätzen und zu bewahren.


Anschliessend möchte der junge Hirte die grünen Steppen von Irland und Schottland bereisen und danach vielleicht seine eigene Wandherde gründen.


Nach «Määääärry Christmas» und «Määäääppy New Year» wünschen wir nun eine «Bääääääää Voyage». 


Sarah Utzinger