Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 22.02.2024

Pilotversuch für Mobilitätsservice

Bahnhof Frauenfeld noch nicht behindertengerecht ausgebaut

Der Bahnhof Frauenfeld ist für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen eine Herausforderung. Denn sowohl um vom Lindenpark zum Bahnhofplatz zu gelangen oder um das Gleis drei zu erreichen, müssen steile Rampen überwunden werden. Ein Pilotversuch eines Mobilitätsservices soll Menschen im Rollstuhl oder mit dem Rollator künftig unterstützen. 

 

 

Am Montagmorgen waren am Bahnhof Frauenfeld verhältnismässig viele Rollstuhlfahrer zu sehen – begleitet von Menschen mit Kameras in der Hand. Dieses ungewöhnliche Bild, das sich den Pendlerinnen und Pendlern bot, hatte einen ernsten Hintergrund. Denn es handelte sich um eine Schulung für den neuen Mobilitätsservice der Stadt Frauenfeld für die Taxifahrerinnen und Taxifahrer von Ilg Taxi. Mit diesem Service wird ab Freitag dieser Woche mobilitätseingeschränkten Personen geholfen, die beiden steilen Rampen am Bahnhof – zum Gleis drei und zum Bahnhofplatz – zu überwinden. Mit gut 12 Prozent Gefälle sind die Rampen eine wahre Herausforderung für Rollstuhlfahrerinnen und -fahrer.   


 


Vier kleine Schilder


Um auf den Service aufmerksam zu machen, werden an den Eingangsportalen des Bahnhofs vier violette Tafeln mit einer Telefonnummer und einem QR-Code platziert. Betroffene können sich dort melden und innert kürzester Zeit soll ihnen beim Bewältigen der Rampe geholfen werden, so die Idee. «Es ist gar nicht so einfach wie man denkt, an einem Bahnhof ein Schild anzubringen», sagte Urban Kaiser, Leiter Amt für Alter und Gesundheit der Stadt Frauenfeld. Die SBB habe klare Vorgaben und Regularien, wie ein Bahnhof aussehen müsse und dürfe. Daher hängen die Schilder auch nur an den Eingangsportalen und nicht dort, wo sie idealerweise hängen sollten, «beispielsweise direkt bei der Rampe zum Gleis drei», so Urban Kaiser weiter.


 


Kreative Lösung


Der Mobilitätsservice ist ein Pilotprojekt, das auf 18 Monate ausgelegt ist. Lanciert wurde es neben dem Amt für Alter und Gesundheit der Stadt von Ilg Taxi und Pro Infirmis. Man reagiere damit einerseits auf Rückmeldungen aus der Bevölkerung und andererseits auf die Tatsache, dass der Bahnhof Frauenfeld auch 20 Jahre nach dem Inkrafttreten des Behindertengleichstellungsgesetzes noch nicht entsprechend aus- oder umgebaut sei, um den Bedürfnissen von Menschen mit Beeinträchtigung gerecht zu werden. «Schweizweit müssen noch 500 Bahnhöfe umgebaut werden und auch bei Haltestellen ist man erst bei 30 Prozent. Es gibt also noch viel zu tun. Aber die Stadt Frauenfeld beweist mit ihrem Pilotversuch, dass sich mit Kreativität und vor allem Interesse Überbrückungsmassnahmen finden lassen», lobte Jutta Röösli, kantonale Geschäftsleiterin Pro Infirmis, die Initiative der Stadt.


 


Stets vor Ort


Man habe sich viele Gedanken gemacht und sei rasch zum Schluss gekommen, dass sich das Problem am Bahnhof Frauenfeld nicht strukturell lösen lasse, sondern nur organisatorisch. «Eine Liftanlage ist noch nicht in Sicht. Einen Meldeknopf oder eine Gegensprechanlage haben wir ebenfalls ausgeschlossen. Das wäre technisch zu aufwendig und zu kostspielig», erklärte Stadträtin Regine Siegenthaler, Vorsteherin Departement für Alter und Gesundheit. Daher habe man sich für die pragmatische Variante mit einem Mobilitätsservice entschieden. «Uns war klar, dass wir jemanden vor Ort haben müssen und mit Ilg Taxi haben wir den perfekten Partner gefunden», ergänzte Urban Kaiser. Ilg-Taxi-Geschäftsführer Patrick Haas sagte dazu: «Wir sind sowieso stets vor Ort und abrufbar. Bei der Kontaktaufnahme kommt innert einer bis maximal fünf Minuten ein Mitarbeitender und ist unentgeltlich behilflich.»    


 


Probe aufs Exempel


Zurück zur Schulung am Bahnhof. Die Taxifahrerinnen und -fahrer schoben sich gegenseitig im Rollstuhl die Rampen hoch und runter. Mit dabei war auch Miriam Fischbacher, Mitglied des Rollstuhlclubs Thurgau. Sie ist seit gut einem Jahr wegen einer neurologischen Krankheit auf den Rollstuhl angewiesen. Sie erklärte, wie schwierig es alleine ist, die beiden Rampen am Bahnhof Frauenfeld zu überwinden. «Abwärts kann ich gut selbst bremsen, aber hochfahren ist fast unmöglich», sagte die 31-Jährige. Sie demonstrierte das Ganze gleich selbst und nach nur wenigen Metern hoben sich die Vorderräder ihres Rollstuhls und an ein Weiterfahren war nicht mehr zu denken. Dem neuen Service steht Fischbacher kritisch gegenüber. Vor allem, weil er zu wenig bekannt und auch die Sichtbarkeit der Schilder nicht optimal sei. Urban Kaiser sagte dazu: «Die Telefone werden jetzt nicht heisslaufen, das ist uns bewusst». Es brauche Zeit, bis der Service bekannt sei. Er ergänzt aber: «Auch wenn nur wenigen geholfen werden kann, gilt das als Erfolg zu werten.»


Michael Anderegg