Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 18.08.2016

Zuerst sehr nervös, dann auf Olympia-Podest

Die bereits 47 Jahre alte Heidi Diethelm Gerber aus Märstetten hat ihre noch junge Karriere als Schützin mit Olympia-Bronze mit der Sportpistole in Rio de Janeiro bereits gekrönt. Die Feiern zum Empfang verliefen für sie sehr emotional.

 

 

Wenn Olympiasieger Fabian Cancellara am Flughafen in Kloten empfangen wird, wird es laut. Kehren Schützen zurück, interessiert das normalerweise nur Insider. Als aber am Samstag Heidi Diethelm Gerber mit der um den Hals gehängten Bronzemedaille in der Heimat eintraf, war für einmal buchstäblich der Teufel los. Unzählige Fahnen und Spruchbänder waren zu sehen und verschiedene Glocken wurden geschwungen. Kein Wunder, Diethelm ist sogar die allererste Schweizer Schützin, die Edelmetall an Olympia errang.
Die 47-Jährige hatte schon in Rio manchen Interview-Marathon hinter sich gebracht und konnte dank Swiss Olympic in der Business-Class reisen und endlich auch etwas schlafen. In Kloten wartete eine Hundertschaft erwartungsfroher Fans, sehr viele aus dem Thurgau. Da musste die sonst so abgeklärt wirkende Mittelthurgauerin ab und zu um ihre Fassung ringen: «Ja, das waren schon sehr emotionale Momente.»
Am Abend in Märstetten ging es im gleichen Stile weiter. Mit dem Oldie-Cabrio wurden Heidi Diethelm Gerber und ihr Mann Ernst (der grosse Förderer) durch ihren Wohnort chauffiert und von den Spalier stehenden Menschen bejubelt. Anschliessend fand die Feier mit einiger Prominenz statt.

Durchzogene Premiere
Mit 43 nahm Heidi Diethelm Gerber 2012 in London erstmals an Olympischen Sommerspielen teil. Es schauten lediglich Platz 29 mit der Sportpistole und Rang 35 mit der Luftpistole heraus. «Ich habe als Neuling viel Lehrgeld bezahlt. Auf diesen riesigen Rummel war ich ganz einfach zu wenig vorbereitet», erklärte damals die logischerweise enttäuschte Thurgauerin nach ihrer Rückkehr aus England.
Vier Jahre später, seit zwei Jahren als Profi voll auf das Schiessen konzentriert, wollte sie ihre nun erworbene Routine ausspielen. Der Auftakt in Rio mit Platz 35 (wie in London) mit der Luftpistole misslang erneut gründlich. Doch Heidi Diethelm Gerber blieb cool: «Ich weiss eigentlich nicht recht warum, aber ich war viel zu nervös. So etwas kann passieren. Ich schaue vorwärts.» Und wie sie das tat. Zwei Tage später verlief der Beginn mit der Sportpistole zwar ebenfalls eher harzig. Aber die Steigerung in der Qualifikation war frappant. Erst die letzte Passe entschied gegen sie. Mit einem Punkt mehr im Halbfinal hätte sie sogar um Gold schiessen dürfen.
Im Duell um Platz drei musste die Märstetterin ausgerechnet gegen die Nummer eins der Welt, die beinahe unschlagbare Chinesin Jingjing Zhang antreten. Nach einem 0:2 lief Diethelm aber zu grosser Form auf und gewann sicher mit 8:4 die Bronzemedaille. Damit erlöste sie die bisher in Brasilien erfolglose Nation Schweiz.

Wie geht es weiter?
Weil Heidi Diethelm Gerber erst mit 32 Jahren zum Schiessen kam, gilt sie als echter Spätzünder. Jedoch einer, der enorm rasch lernt. Als bereits mehrfache Schweizer Meisterin wurde sie 2011 sowie auch 2013 Europameisterin mit der Sportpistole. Ein Jahr später zeigte sie ihre Klasse auch im Weltcup in Fort Benning (USA), als sie ebenfalls zuoberst auf dem Podest stand. 2015 holte sie sich zudem Gold bei den European Games. Und jetzt folgte in Brasilien ein weiterer Schritt vorwärts.
Mal sehen, wohin der Weg von Heidi Diethelm Gerber noch führt. Ob sie weiter Profi bleibt, oder wieder einer Teilzeitarbeit nachgeht, lässt die Bronzemedaillen-Gewinnerin vorläufig offen. Doch sie gibt auch zu: «Die WM 2018 in Südkorea und Olympia 2020 in Tokio reizen mich schon.» Das Hoffen auf weiteres Edelmetall ist durchaus erlaubt. 

Ruedi Stettler