Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 08.09.2016

Auch der Kanton steckt in der Zwickmühle

Die Rolle des Kantons in der Vorstadt (Durchgangsverkehr)

In der Vorstadt hat man wie immer den Eindruck, dass nichts geht, ausser des Verkehrs. Den Lädelern und Anwohnern stinkt’s. Zwar hat die Stadt kürzlich zur Linderung eine Einbahnlösung vorgeschlagen, die aber auf breite Ablehnung gestossen ist (Ringstrasse). Und nun wieder herrscht verstockte Stille, in Anführungszeichen: Man hört und riecht nichts ausser Motoren.
Es heisst, der Stadt seien für breiter abgestützte Optionen die Hände gebunden, «weil der Kanton klemmt». Wir fragten die oberste Chefin der Kantonsstrassen, Carmen Haag, ob das stimmt.

 

 

Seit Jahren ächzt die Vorstadt unter dem Verkehr. Den Ladeninhabern und Anwohnern stinkt’s.
C. Haag: Die Verkehrssituation von Frauenfeld ist mir wohl bekannt. Die Problematik stellt sich insofern (und dies nicht erst seit der F21-Abstimmung), dass wichtige Verkehrs- und Einfallsachsen direkt ins Stadtzentrum führen und in der Kernstadt die Hauptstrassenverbindungen von Süden, Osten und Westen zusammentreffen; Stichwort: Postkreisel – Holdertor/Marktplatz – Lindenspitz – Schweizerhofkreisel. Dass sich dies mit den Nutzungsansprüchen im dichtbesiedelten Stadt- und Wirtschafts­zentrum überlagert ist sicher nicht ideal, aber historisch so gewachsen. Die Alter­native kann nur eine breit getragene, mehrheitsfähige und einheitliche Verkehrsstrategie mit Koexistenz für alle Verkehrsteilnehmer sein.

100-e Bitten kursieren: Vor allem Verkehrsberuhigung, Tempo runter. Verkehrshindernisse in Form von drei Parkplätzen in der Vorstadt. Was spricht dagegen, zwischen Erchingerhof und Holdertor 30 oder 20 einzuführen, sowie an der Ring­strasse? Aus physischer und psychologischer Sicht wären die Gefahren weg, sogar Kinder könnten die Strassen queren.
Zentrale Ortsdurchfahrten sind mehrheitlich verkehrsorientierte Strassen und nicht gerade der ideale Ort für spielende Kinder auf dem Trottoir oder der Fahrbahn. Ladengeschäfte suchen die verkehrliche Frequenz. Gewünschte Parkplätze unmittelbar vor dem Laden unterstreichen die Tendenz, dem Zielverkehr Rechnung zu tragen. Zudem handelt es sich bei der Promenade und Vorstadt um eine Kantonshauptverkehrsstrasse. Somit sind besondere Voraussetzungen nachzuweisen, um eine Abweichung von der allgemeinen Höchst­geschwindigkeit zu erlassen. Dazu fordert das Strassenverkehrsgesetz explizit den Nachweis mit einem Verkehrsgutachten, welches darlegt, dass eine Abweichung unumgänglich und keine andere Massnahme, ausser einer tiefe­ren Tempolimite, Lösungen bietet.
Vielleicht noch ein paar Bemerkungen zum Tempo: Es gilt zwischen objektiver und subjektiver Wahrnehmung zu unterscheiden. Die gemessene Geschwindigkeit ist in den meisten Fällen tiefer als die subjektive Wahrnehmung. Insbesondere die schmale und dichtbebaute Vorstadt, die eng wirkt und die Fahrbahn nahe an die Fassaden anschliesst, verleitet zur Einschätzung einer subjektiv höher empfundenen Geschwindigkeitswahrnehmung.

Wo liegt das Problem, dass es einfach nicht vorwährtsgeht? Man hat den Eindruck, der Kanton verstecke sich hinter der Stadt und umgekehrt. Wie man in den Wald hinein ruft, so tönt es zurück. Hier ist es schlimmer: Die Stadt, nachdem sie in einer Herkules­anstrengung das Lastwagenfahrverbot hingekriegt hat, die Einbahnlösung aber in die Hosen ging, schweigt oder sitzt aus, der Kanton regiert aus dem Olymp. Kein Echo. Auch betreffs Ringstrasse.
Kanton und Stadt haben ihre Vorstellungen im Gesamtkonzept «Mobilität 2030» gemeinsam erarbeitet, vernehmlasst und kommuniziert. Hier gilt es nun die nächsten Konkretisierungsschritte anzugehen. Verkehrlich flankierende Massnahmen am einen Ort müssen abgeklärt und ausgewogen – sprich verträglich für Alle – sein. Mit anderen Worten kann eine beruhigte zentrale Ortsdurchfahrt nicht eine unkontrollierte Verkehrsverlagerung auf Quartierstrassen nach sich ziehen. Es gilt Massnahmen und ihre Auswirkungen detailliert aufeinander abzustimmen, Varianten zu vergleichen und günstige sowie wirksame Lösungen zu suchen. Dies kann auch eine kernstadtnahe Entlastungsstrasse sein. Daran arbeiten die verantwortlichen Mitarbeiter von Kanton und Stadt zusammen – und dies seit geraumer Zeit. Erfahrungsgemäss braucht ein mehrheitsfähiger verkehrlicher Lösungsvorschlag jedoch Zeit.

Die Stadt sagt entschuldigend: Der Kanton! Kantonsstrasse, wir haben da nichts zu sagen. Versteckt sich die Stadt zu Recht hinter dem Kanton?
Die Ortsdurchfahrt durch die Vorstadt ist eine verkehrsorientierte Hauptstrasse, also eine Kantonsstrasse, welche die südliche Einfallsachse mit der östlichen Hauptachse verbindet. Dieser Aspekt lässt sich nicht so einfach verändern. So stellt sich nicht in erster Linie die Frage des «Sagens» sondern der realisierbaren Lösungsmöglichkeiten. Und da sind gute, umfassend abgeklärte Lösungsansätze von allen Beteiligten gefragt.

Warum bietet der Kanton nicht Hand zu einer Lösung eines jahrzehntealten Problems?
Wir bieten wo immer möglich Hand, aber es braucht ein abgestimmtes Verkehrskonzept für alle Verkehrsträger und Teilnehmer. Sowohl der öffentliche Verkehr, der private Individualverkehr, der Berufsverkehr wie der Langsamverkehr fordern ihren Tribut und auch Gleichbehandlung. Dies bei den beschränkten Platzverhältnissen unter einen Hut zu bringen ist keine einfache Aufgabe. Mit Sicherheit kann es nicht eine «Schnelllösung» – mit einer örtlich bedingten Teilmassnahme – sein, welche für die angrenzenden Gebiete und Anwohner eine unkontrollierte Mehrbelastung erzeugt.

Welchen Part könnte die Stadt ihrerseits auch ohne Handreichung durch den Kanton übernehmen?
Bei Verkehrsfragen «Einzelaktionen und -wege» einzuschlagen, bringt nichts. Die Zusammenarbeit von Stadt und Kanton ist gefragt und die verantwortlichen Instanzen arbeiten sehr gut zusammen. Wichtig ist, dass die Stadt Frauenfeld ihre Bürger über die jeweiligen Projekte und Arbeitsschritte gut informiert – wie jüngst beim Mobilitätskonzept 2030.

«Vor-xit» und «Ring-xit»: Fürchtet der Kanton nicht, dass bei weiterer unnachgiebiger Haltung Vorstadt und Ringstrasse eines Tages aus dem Kanton austreten könnten?
Systemverbesserungen müssen gemeinsam getragen werden. Es wird in Verkehrsfragen nie gelingen, alle zu befriedigen. Es kann aber gelingen, einen erträglichen Konsens zu finden, und das streben wir engagiert und mit der Stadt zusammen an.

Carmen Haag, herzlichen Dank und viel Erfolg! (eb)

 

 

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