Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 08.03.2017

Ich hatte einen Traum

Seit fünf Tagen nun ist die neue Stadtumfahrung (F 22) in Betrieb. Frauenfeld platzt schier vor Stolz: Alles klappt bestens, die Innenstadt geniesst das neue, entspannte Leben, die Vorstadt ist beschaulich und gemütlich geworden.

 

 

Hätten die Vorstädter damals jene gloriose Idee (ihr wisst schon...) nicht gehabt, wir würden noch heute auf eine Stadtentlastung warten!
Vor ziemlich genau 10 Jahren, im März 2007, hatten ein paar Vorstadtlädeli-Besitzer die Nase gestrichen voll ob des Gestanks, des Lärms und der Untätigkeit vor ihrer Ladentür und beschlossen eines Freitag­abends, aus einem Anflug der Verzweiflung, sich mitten auf der Zürcherstrasse niederzulassen und den Verkehr zu blockieren. Die Aktion dauerte nur ein paar Minuten, sprach sich aber blitzschnell herum.
An den folgenden Freitagabenden (die Sitzaktion, auch: «Sitzstreik» genannt, fand immer zur selben Zeit statt) kriegte die kleine Gruppe starken Zulauf. Nach einem Monat sassen schon 50, 60 Leute auf der Strasse, alle mit roten Ballonen in der Hand («I love Vorstadt!»), während halb Frauenfeld um sie herumstand, applaudierte, sie ermunterte und Drinks verteilte, derweil sich der Verkehr kurzzeitig bis weit in den Thurgau zurückstaute. Sogar Filmteams aus China filmten mit. Die Ringstrasse musste mitziehen und sprang aufs gleiche Floss.
Aber nicht genug: Sogar der Stapi kam vorbei und verteilte warmen Tee und drückte Pfläschterli auf wunde Seelen, der Polizeichef fuhr seine Kinder heimlich mit dem Auto an die Demo, die Damenriege zeigte Übungen, die Stadtmusik brachte Ständchen, die Abende wurden zum Volksfest. Der Druck auf die Politik wuchs, die (Vor)Stadtentlastung sofort zu realisieren. Innert Kürze wurde ein prächtiges Vorzeige-Projekt aus dem Boden gestampft und vom Volk abgesegnet. Sogar Bundesbern steuerte 200 Mio. bei, die Sache war zum Politikum geworden.

Voilà, den Vorstädtern sei Dank: 10 Jahre später, 2017, haben wir die Stadtumfahrung!

Ein Vorstadt-Pionier aus den Anfängen fasst die Geschehnisse so zusammen: «Unsere Politiker an der Spitze von Stadt und Kanton mögen liebe Leute sein, aber sie sitzen die Sachen halt gern aus. Man muss sie zwingen, immer und immer wieder hinzuschauen, sonst passiert nichts. Deshalb haben wir das Heft selbst in die Hand genommen und sind abgesessen. Sitz-Aktionen helfen zuverlässig, sofort aufzustehen!»

Hoch lebe die F 22! (eb)