Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 09.05.2018

Keine Elterntaxis

Bei einem Klassentreffen sind die Erlebnisse auf dem Schulweg immer ein wichtiges Gesprächsthema. Da konnte ich anfangs nicht mitreden, weil ich in Strass gleich neben dem Schulhaus aufgewachsen bin. Das war gleich doppeltes Pech. Denn wenn mich der Lehrer wegen Schwatzens vor die Türe schickte, konnte das die Mutter vom gegenüberliegenden Küchenfenster aus feststellen. Wenn sie nicht da war, petzten sicher die beiden jüngeren Schwestern.

 

 

Das mit der Überwachung besserte sich erst ab der 7. Klasse und dem Schulweg per Velo nach Frauenfeld. Da gab es viel zu erleben und immer wieder neue Routen zu finden, damit man nicht zu schnell wieder daheim war. Das Highlight auf der Fahrt nach Frauenfeld war im Hochsommer immer einmal pro Woche der Kauf eines Vanille-Glacestengels für 20 Rappen bei der Tankstelle am Schaffhauserplatz. Weil das eben die Eltern nicht mehr unter Kontrolle haben konnten.
Heute ist das völlig anders. Da werden viele Kids per Auto bis fast vor die Schultüre gefahren. Das führt zu Verkehrsproblemen und gefährlichen Situationen in den Hauptzeiten. Dies zwingt Schulleitungen, unpopuläre Massnahmen zu ergreifen: Parkverbote im Umfeld der Schulhäuser, Poller versperren den Weg und es werden sogar Bussen ausgesprochen. Dieser Ärger wäre nicht nötig, wenn die Kinder wieder selber ihren Weg gehen dürften.
Genau das fordert in einem Interview im Tages-Anzeiger Psychologin Jessica Westman von der Universität Karlstad. Sie hat festgestellt, dass mit dem Elterntaxi geführte Kinder im Unterricht viel träger und müder sind. Laut ihren Nachforschungen sind die laufenden Kids zudem viel glücklicher, denn «die selbständigen Wege der Kinder tragen dazu bei, ihre Umgebung zu erforschen, was sich positiv auf das Wohlbefinden und die Verhaltensentwicklung auswirkt».
Also liebe Eltern, Gotten und Göttis, Grossmütter und Grossväter, Tanten und Onkels, lasst die Kinder wieder zu Fuss oder mit dem Velo zur Schule gehen, damit sie auf dem Weg dorthin körperlich und geistig aktiv sein können.

Ruedi Stettler