Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 21.11.2018

«MeToo» im Thurgau: Bilanz zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen

Weltweit finden zwischen dem 25. November und dem 10. Dezember Aktionen gegen Gewalt an Frauen statt – so auch in der Schweiz. Unter dem Schlagwort «MeToo» geriet das Thema letztes Jahr speziell in den Fokus der Öffentlichkeit. Auch in unserer Region sind Missbrauch und sexuelle Belästigung ernst zu nehmende Probleme.

 

 

Seit Ende 2017 immer mehr prominente Männer des Missbrauchs bezichtigt wurden, hat sich die Debatte auf der ganzen Welt entfacht. Unter dem Stichwort «MeToo» wurden die Stimmen der Frauen lauter, die von verbalen und körperlichen Belästigungen berichteten.

Unsichtbare Gewalt
Ereignisse wie die Übergriffe an der Street Parade oder der Überfall an fünf jungen Frauen in Genf vermitteln den Eindruck, dass Gewalt an Frauen zunimmt – dabei geschieht Gewalt an Frauen nicht primär im öffentlichen Raum, sondern vor allem zu Hause. Häusliche Gewalt ist laut Europarat die Hauptursache für den Tod oder für Invalidität von Frauen zwischen 16 und 44 Jahren; jede fünfte Frau in der Schweiz wird mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von Gewalt, die von Tätern aus dem sozialen Umfeld ausgeübt wird.

Konstante Zahlen
Auch im Thurgau ist die Statistik erschreckend: Im Durchschnitt zwei- bis dreimal täglich wird die Kantonspolizei zu Fällen von häuslicher Gewalt gerufen. Ilona Swoboda von der Beratungsstelle für gewaltbetroffene Frauen Thurgau bestätigt, dass es überwiegend in bestehenden oder aufgelösten Partnerschaften zu Gewalttaten an Frauen kommt. Die erhöhte Aufmerksamkeit für das Thema im Zug von «MeToo» habe allerdings nicht bewirkt, dass sich mehr Frauen bei der Beratungsstelle gemeldet hätten. Die Zahlen sind in den letzten Jahren konstant bei rund 120 bis 140 Beratungen im Jahr geblieben.

Anstieg wegen neuem Gesetz
Auch Brigitte Kämpf von der Beratungsstelle Frauen-Nottelefon in Winterthur sieht im Moment keine Fallzunahme aufgrund von «MeToo». Die Diskussionen geben ihr jedoch Hoffnung, dass Frauen vermehrt den Mut finden, Grenzen einzufordern. Zuletzt habe das neue Gewaltschutzgesetz, das am 1. April 2007 im Kanton Zürich in Kraft getreten ist, für eine merklichen Anstieg der Beratungen geführt – von etwa 660 auf rund 1000 Anfragen im Jahr. Im Kanton Thurgau gilt ein ähnliches Gesetz seit dem 1. Januar 2008; es schützt Personen, die im persönlichen Umfeld Gewalt erleben.

Hohe Dunkelziffer
Obschon die Zahl der Frauen, die sich an eine Beratungsstelle wenden, nicht zugenommen hat, mindert das nicht das grundsätzliche Problem: dass zahlreiche Frauen männlicher Gewalt ausgesetzt sind und sich die Betroffenen oft nicht trauen, darüber zu sprechen. Noch immer schämen sich viele Opfer und verschweigen die Vorfälle, auch aus Angst, nicht verstanden oder nicht gehört zu werden, oder aufgrund von Drohungen. Die Dunkelziffer ist dementsprechend hoch.

Selbstverteidigung
Da die Vorfälle quantitativ schwer messbar sind, können eventuell andere Faktoren Aufschluss geben, ob sich Frauen im Thurgau bedroht fühlen – etwa ob sie sich auf den Fall eines Übergriffs vorbereiten. Eine Umfrage bei Kampfsport-Anbietern ergab, dass das Interesse an Selbstverteidungskursen in Frauenfeld gering ist. Die lokale Kampfsportschule WingTsun etwa kann keine verstärkte Nachfrage von Frauen nach Selbstverteidigung feststellen. Das Thema Selbstverteidigung sei in Zürich sehr wohl ein Thema, in Frauenfeld jedoch nicht, meint Alain Koch von der Schule Renovazio, der in beiden Städten Kampfsport unterrichtet. Die Klubschule Migros meldet gesamtschweizerisch eine knappe Verdopplung der Anmeldungen für Selbstverteidigungskurse von 2014 bis 2017; in Frauenfeld gibt es momentan keine solche Angebote, jedoch in St.Gallen und Schaffhausen.

Information hilft
Gewalt an Frauen ist auch im Thurgau ein unsichtbares Phänomen – daran hat «MeToo» bisher nichts geändert. «Gewalt können wir nicht ausrotten, wir können nur versuchen, die Betroffenen besser zu schützen», meint Brigitte Kämpf vom Frauen-Nottelefon. Wer Zeuge eines tätlichen Übergriffs wird, sollte sofort die Polizei rufen. Von einer handfesten Einmischung rät Kämpf ab, da die Situation eskalieren könnte. Hilfreich sei es, dem Opfer unter vier Augen Hilfe anzubieten oder Informationen von Beratungsstellen weiterzugeben – im Thurgau sind das etwa die Beratungsstelle für gewaltbetroffene Frauen Thurgau, die Fachstelle Opferhilfe Thurgau oder die Fachstelle Häusliche Gewalt der Kantonspolizei Thurgau. Je offener über die Tatsache gesprochen wird, dass Frauen Gewalt erleben, desto eher trauen sich Betroffene, Hilfe zu suchen – dazu können Debatten wie «MeToo» auch in unserer Region beitragen.

Informationen zur Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» vom 25. November bis am 10. Dezember unter www.16tage.ch. Das Cinema Luna zeigt am 27. November den Film «Jusqu’à la garde – Nach dem Urteil» mit einer Einführung in das Thema häusliche Gewalt.

Miriam Waldvogel