Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 12.06.2019

Du liebe Zeit

Manchmal ist die Zeit eine Frucht: Sie reift, bis der perfekte Moment gekommen ist. Manchmal ist sie wiederum wie eine Fliege, die totgeschlagen wird. Aber vor allem ist sie eine Marathonläuferin mit unglaublicher Kondition. Sie rennt und rennt und rennt – und wir hinter ihr her. Das Schritttempo hat zwischen 1994 und 2009 in den Städten um zehn Prozent zugenommen, und trotzdem ist es uns bisher nicht gelungen, die Zeit einzuholen.

 

 

Dass sich der Lauf der Dinge in den letzten Jahrzehnten beschleunigt hat, ist also nicht nur eine Floskel. Das Tempo steigerte sich in allen Bereichen des Lebens: im Arbeitsleben, im Verkehr, in den Medien. Während das Radio 38 Jahre brauchte, bis es 50 Millionen Menschen erreichte, waren es beim Internet nur noch vier Jahre. Von der Erfindung der Dampflok bis zum Flugzeug vergingen gut 100 Jahre – vom Internet zum Smartphone gerade mal 17 Jahre.
Fast genauso lang dauerte es, bis das Einkaufszentrum Passage stand, nämlich 14 Jahre von der Planungsphase bis zur Eröffnung. Im Vergleich dazu wird der Neubau des Hallenbads fast ein Sprint: von der Machbarkeitsstudie bis zum fertigen Bau in sechs Jahren, sofern der Baukredit in der Volkabstimmung durchgewunken wird. Das Projekt Verkehrsent­lastung der Innenstadt hingegen ist ein echter Rückschlag in die Zeit der Dampfloks: Sie wird seit mindestens 40 Jahren diskutiert – und es ist noch kein Ende absehbar.
Die Uhren mögen in Frauenfeld langsamer ticken als im Silicon Valley, wo die Entwicklungen allerdings von der Wirtschaft getrieben werden, und nicht von der schweizerischen Konsenspolitik. Aber auch in Frauenfeld ist die Zeit keine Schildkröte.

Miriam Waldvogel