Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 03.07.2019

Ein Leben in der alten «Felsenburg»

Die Stadt Frauenfeld feierte unlängst den 100. Jahrestag der Stadtvereinigung mit einem überaus gelungenen Mitsommerfest. Die gleiche Zeitspanne und die damit verbundene Stadtgeschichte und -entwicklung hat auch Elisabeth Knöpfel erlebt, die am 1. Juli bei bewundernswerter geistiger Frische ihren 100. Geburtstag im Alterszentrum Stadtgarten feiern durfte.

 

 

Das Wilerbähnli dampfte und fauchte noch auf schmalen Schienen auf der ungeteerten Strasse an der «Felsenburg» am Bärenplatz vorbei, als Elisabeth Knöpfel am 1. Juli 1919 zur Welt kam. Ihr Vater, ein gelernter Konditor, hatte am 1. August 1914 das Kolonialwarengeschäft, das 1890 von P. Bartholdi in der «Felsenburg» eröffnet und von E. Fischer-Ilg fortgeführt worden war, übernommen. Der Name «Felsenburg» war Programm. Als ein mächtiges Bollwerk markierte sie den Stadteingang. Dabei zeigte sie gegen den Platz hin eine attraktive Gliederung mit gemeisselten Rundportalen, grosszügigen Schaufenstern im Erdgeschoss, anmutig überwölbten Fensterstöcken in der Belétage, mit abgrenzenden Ecklisenen und einem die Höhe mildernden Gesims über dem zweiten Stock. Ein richtiges Geschäftshaus, beinahe ein Stadtpalais. Der Knopfmacher und Bauspekulant Georg Wassermann, dem man übrigens auch den «Falken» verdankt, investierte in der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht zimperlich, als er dieses vierstöckige Gebäude auf einem doppelten, zweistöckigen Gewölbekeller errichten liess. Vom unteren Keller – ein perfekter Lagerraum für Käse und Weine – soll einst sogar ein geheimer Gang zum Schloss geführt haben.
Das Kolonialwarengeschäft von August Knöpfel blühte rasch auf, mehrere Angestellte bedienten zusammen mit dem Chef und der älteren Tochter Dora die wachsende Kundschaft. Es schien ausgemacht, dass auch Elisabeth Knöpfel nach der Sekundarschule, dem Handelsdiplom an der Kantonsschule und einem Welschlandjahr im Geschäft mithelfen werde. Doch sie hatte anderes im Sinn, sie wollte Krankenschwester werden. Um die Eltern nicht ganz zu enttäuschen, liess sie sich darauf ein, zunächst höchstens ein Jahr im Laden zu stehen. Doch dann kam der Krieg. Danach wollte sie wieder frei sein; sie zog kurzerhand mit befreundeten Auswanderern nach Amerika. Ein tragischer Unfall ihres Bruders veranlasste sie indessen schon nach einigen Monaten zur Rückkehr, um ihrem Vater beizustehen. So begann sie 1949 ihre Laufbahn als Geschäftsfrau. 1951 übergab August Knöpfel nach fast vierzigjähriger erfolgreicher Tätigkeit das Geschäft der nächsten Generation. Elisabeth Knöpfel führte zusammen mit ihrem Bruder Alfred den Betrieb weiter, der in der Reklame «Colonialwaren – Delikatessen – Spirituosen – Kaffee-Rösterei» anbot. Schon im folgenden Jahr unterzogen sie die Fassade der «Felsenburg» einem modernen «Facelifting» und warben nun mit «Früchte – Lebensmittel – Butter Käse – Delikatessen». 1961 erfolgte die völlige Erneuerung des Ladeninterieurs und 1969 rüstete man auch technisch auf. «Wir waren das erste Geschäft mit Selbstbedienung in Frauenfeld», sagt die Jubilarin. «Knöpfel» war während langer Zeit der Inbegriff für ein Detailgeschäft mit preiswertem, qualitativ hochstehendem Angebot und einigen Spezialitäten, beispielsweise Butter aus der Kartause Ittingen oder Kaffee aus der eigenen Rösterei. Nach dem Tod ihres Bruders Alfred im Jahr 1967 lastete die ganze Verantwortung auf Elisabeth. «Du bist der Fels in der Brandung», sagte man ihr. Doch 1973 fand sie es richtig, das Geschäft in andere Hände zu übergeben. Dass das Ehepaar Brodersen den Laden vorderhand unter dem Label «Knöpfel» weiterführte, erleichterte ihr den Abschied. Während acht Jahren arbeitete sie nun als Sekretärin der Krankenpflegeschule. Ihr frühester Berufswunsch – Krankenpflege – erfüllte sich so doch noch teilweise. Drei Dinge seien ihr danach wichtig gewesen, sagt sie: die Pflege freundschaftlicher Beziehungen, ihre eigene Wohnung an der Ringstrasse und «das Riet», ein Urlaubsplatz am Untersee. Seit 2006 lebt Elisabeth Knöpfel im Alterszentrum Stadtgarten und erfreut sich und ihre Besucher – zwar bei eingeschränkter Mobilität – mit einer staunenswerten geistigen Präsenz. Es war ihr ausdrücklicher Wunsch, anlässlich ihres hohen Geburtstags nicht ihre Person, sondern die «Felsenburg» in den Mittelpunkt zu stellen.

Angelus Hux

 

 

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