Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 30.12.2020

Schande für die Demokratie

Am 15. März 2020 gab es im Wahlbüro der Stadt Frauenfeld einen Wahlbetrug

Die Parallelen sind markant: Derweil der Bunderat mit dem Lockdown Mitte März etwas verkündet hatte, was es zuvor noch nie gegeben hatte, so trifft diese Wertung auch auf die Stadt Frauenfeld zu. Bei den Grossratswahlen wurden zwischen 86 und 99 Wahlzettel der Grünliberalen vernichtet und durch Wahlzettel der SVP ersetzt. Das Strafverfahren wegen des Verdachts auf Wahlfälschung ist noch im Gang.

 

 

Weil Kantonsratswahlen so genannte Proporzwahlen sind, sind nicht automatisch die Kandidatinnen und Kandidaten mit den generell höchsten Stimmenzahlen gewählt. Vielmehr werden die Sitze pro Partei aufgrund der Gesamtstimmenzahlen errechnet – weshalb schon geringe Stimmenzahlen eine grosse Auswirkung haben können. Wie das bei den Kantonsratswahlen am 15. März der Fall war, als die SVP wegen maximal 99 Stimmzetteln auf Kosten der Grünliberalen einen Sitz zugesprochen erhielt. Diesen musste sie nach der Korrektur des Ergebnisses aber an die Grünliberalen abgeben. Eine Spurensuche.

Strafverfahren eröffnet
Unmittelbar nach Bekanntwerden der als kriminell zu bezeichnenden Vorgänge im städtischen Wahlbüro hatte die Generalstaatsanwaltschaft am 2. April ein Strafverfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts auf Wahlfälschung eröffnet. Am 12. Juni wechselte im Strafverfahren der Status von Unbekannt auf eine namentlich bekannte Person.
Wie die Generalstaatsanwaltschaft zwei Wochen später mitteilte, wurden bei den noch vorhandenen 639 unveränderten Wahlzetteln der SVP Auffälligkeiten festgestellt, die bei genauer Betrachtung bereits von blossem Auge erkannt sowie kriminaltechnisch untermauert werden können. Aus ermittlungstaktischen Gründen könnten jedoch noch keine weiteren Angaben gemacht werden, da die Ermittlungen nach wie vor im Gange sind und kein Täterwissen bekannt gegeben werden dürfe.

Kleiner Kreis von Personen
Bis zu diesem Zeitpunkt dürfte die Staatsanwaltschaft den Personenkreis der Verdächtigen mittels Ausschlussverfahren reduziert haben – wer überhaupt die Möglichkeit hat, wo einzugreifen. Entscheidend zur Klärung beigetragen dürfte hierbei die Tatsache, wonach ein «normales» Wahlbüro-Mitglied schlicht nicht die Kenntnisse über die Abläufe sowie Zugang zu den zusätzlich eingelegten SVP-Wahlzetteln haben kann.
Wer die verantwortliche Person auf Seiten des Profiteurs der Aktion vermutet, der irrt. Denn gemäss Mitteilung der Generalstaatsanwaltschaft ist die beschuldigte Person nicht Mitglied der SVP. Aus welchem Kreis also stammt die verdächtige Person und was waren die Bewegründe für das Handeln, das somit klar gegen die Grünliberalen gerichtet war? Die Grünliberalen sind – wie der Blick zurück zeigt – auf lokaler Ebene seit über zehn Jahren aktiv. Seit 2011 nehmen sie Einsitz im Gemeinderat, als Stefan Leuthold gewählt wurde.

Kritik an politischem Engagement
Leuthold hat sich immer wieder mal als Mitunterzeichner von parlamentarischen Vorstössen engagiert sowie als Initiant, wie beispielsweise im August 2015 mit der Einfachen Anfrage «Politisches Engagement des Stadtschreibers – zum Vorteil der Stadt?» Der GLP-Vertreter stellte darin das Engagement des höchsten Verwaltungsangestellten in Frage, der ein Jahr zuvor im Rahmen einer Ersatzwahl für die CVP ins Kantonsparlament nachgerückt war.
In der kurz darauf ergangenen Antwort des Stadtrats wurde das politische Engagement des Stadtschreibers zwar befürwortet, die Stimmbürger allerdings sahen das anders. Bei der Neuwahl des Kantonsparlaments ein halbes Jahr später jedenfalls büsste die CVP im ganzen Kanton einen einzigen Sitz ein – jenen des Frauenfelder Verwaltungsangestellten. Dieser hatte seinen Dienst bei der Stadt übrigens diesen Sommer nach zwölf Jahren quittiert, um «sich Neuem zuzuwenden», wie der Meldung auf der Website zu entnehmen ist. Auch ist er unlängst aus der CVP ausgetreten.

Es gilt die Unschuldsvermutung
Wie Generalstaatsanwalt Stefan Haffter mitteilt, ist das Verfahren wegen des Verdachts auf Wahlfälschung nach wie vor im Gang. Mit Schreiben vom 27. November habe die Verteidigung der beschuldigten Person verschiedene Beweisanträge eingereicht, die nun geprüft werden müssten. Bis zum Abschluss des Verfahrens gelte weiterhin die Unschuldsvermutung.
Hilfreich könnte es wie in gleichgelagerten Fällen im Weiteren sein, die längerfristige Vergangenheit von Tatverdächtigen auszuleuchten. Allenfalls könnte so festgestellt werden, ob und in welchem Umfang eine kriminelle Energie vorhanden ist. 

Andreas Anderegg