Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 31.03.2021

Anklage gegen ehemaligen Stadtschreiber

Grossratswahlen vom 15. März 2020 sorgen für nationale Schlagzeilen

Die Bombe ist geplatzt: Nachdem die Staatsanwaltschaft am 2. April 2020 die Strafuntersuchung in Sachen Wahlbetrug in Frauenfeld aufnahm, konnten diese nun abgeschlossen und Anklage erhoben werden. Im Fokus steht der ehemalige Frauenfelder Stadtschreiber Ralph Limoncelli. Sowohl der Beschuldigte als auch die Stadt sind von seiner Unschuld überzeugt.

 

 

Am Freitagmorgen flatterten nacheinander drei Stellungnahmen in die Redaktion der Frauenfelder Woche. Diejenige der Staatsanwaltschaft war die Kürzeste. Ihr Inhalt dafür aber umso brisanter: Nach Abschluss der Strafuntersuchung erhebt die Staatsanwaltschaft beim Bezirksgericht Frauenfeld gegen den ehemaligen Stadtschreiber der Stadt Frauenfeld Anklage wegen qualifizierter Wahlfälschung. Damit hat das Warten auf einen Namen nach dem Wahlskandal in der Kantonshauptstadt endlich ein Ende. Auch das geforderte Strafmass ist bereits bekannt: Die Staatsanwaltschaft beantragt eine bedingt vollziehbare Freiheitsstrafe von 15 Monaten und eine Busse in der Höhe von 3000 Franken.

«Ein reines Gewissen»
Im zweiten Statement meldete sich der ehemalige Stadtschreiber Ralph Limoncelli selbst zu Wort – und beteuert seine Unschuld: «Ich habe ein reines Gewissen, weshalb ich dem Gerichtsverfahren gelassen entgegenblicke. Es ist mir unerklärlich, wie aufgrund der Faktenlage Anklage erhoben werden kann. Es scheint, als müsse aus rein politischen Gründen zwingend eine Person vor Gericht gezerrt werden», schreibt er.
Ausserdem macht er auf seine mehr als 25 Jahre Einsatz für Thurgauer Gemeinden, davon acht im Vorstand des Verbands Thurgauer Gemeinden VTG, aufmerksam. Ebenso sei er Mitglied des Kirchenrats der Katholischen Landeskirche Thurgau gewesen und er verweist auch auf sein einstiges Kantonsratsmandat für die CVP.

Gelassen entgegenblicken
«Alle, die mich gut kennen, werden diesen falschen Anschuldigungen keinen Glauben schenken. Was sollte ich für ein Motiv haben, das Ergebnis des 130. Grossratssitzes zu manipulieren? Zu denken, ich hätte etwas mit dem Austausch von Wahlzetteln zu tun, ist völlig absurd und bar jeder Logik», ergänzt er. Daher würden er und sein Anwalt zuversichtlich auf das kommende Gerichtsverfahren blicken. «Bis dahin ist mein guter Ruf aber beschädigt», schliesst er seine Stellungnahme.

Freistellung bei der Stadt
Auch eine Stellungnahme der Stadt Frauenfeld liess nicht lange auf sich warten. Das Arbeitsverhältnis zwischen der Stadt Frauenfeld und Ralph Limoncelli endete im August 2020 nach zwölf Jahren. «Die Auflösung samt Freistellung erfolgte über eine Aufhebungsvereinbarung, die berücksichtigte, dass der Stadtschreiber nach dieser Zeit bereits eine berufliche Änderung ins Auge gefasst hatte, der Zeitpunkt hierfür jedoch noch offen war», schreibt die Stadt in ihrer Mitteilung.
Zur Erinnerung: Ende August 2020 wurde auf Druck der Öffentlichkeit und nach einem Vorstoss aus dem Gemeinderat bekannt, dass Ralph Limoncelli freigestellt worden war. Bei hochrangigen Kaderleuten seid das üblich, war damals aus dem Rathaus zu vernehmen. Heute ist klar: Die unterzeichnete Vereinbarung hatte auch den Zweck, sich unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte auf die nächsten Ziele und Schritte konzentrieren zu können.
Am Ende also sollten so beide Seiten geschützt werden. Die Stadt vor einem Imageschaden und einem hochrangigen Angestellten für eine unbekannte Zeit auf der Lohnliste und Limoncelli vor einem zu grossen persönlichen Schaden.

Kein Grund zu zweifeln
Die Stadt verweist in der Mitteilung auf die Unschuldsvermutung, solange die Anklagepunkte nicht rechtskräftig durch ein Gericht bestätigt werden: «Ob der damalige Stadtschreiber so gehandelt hat, wie es ihm seitens des Generalstaatsanwalts vorgeworfen wird, wird ein Gericht zu prüfen haben. Der Stadtrat hatte bisher keine Anhaltspunkte, dass es sich so zugetragen hat», schreibt die Stadt. Der Stadtrat hätte keinen Grund gehabt, an der Unschuld des Stadtschreibers zu zweifeln, zumal dieser ihn jeweils zeitnah über bevorstehende Einvernahmen – zunächst als Auskunftsperson, dann als Beschuldigter − informierte und dabei stets seine Unschuld beteuerte.

Michael Anderegg


Vorkehrungen im Wahlbüro
Das Wahlbüro Frauenfeld hat im letzten Juni einen Bericht über Verbesserungsmassnahmen veröffentlicht. Der Bericht wurde in Zusammenarbeit mit Professor Silvano Moeckli verfasst, der über eine 25-jährige Erfahrung als internationaler Wahlbeobachter der UNO, der OSZE und des Europarates verfügt. Die vorgeschlagenen Massnahmen wurden, soweit sie in der Kompetenz der Stadt liegen, an den seit letztem Sommer durchgeführten Abstimmungen und Wahlen umgesetzt. So wird der Zugang zum Grossen Bürgersaal als Auszählungsort neu durch Sicherheitspersonal überwacht und die von Mitgliedern des Wahlbüros ausserhalb des Grossen Bürgersaals deponierte Taschen, Jacken, Wertsachen, Handys und weiteres werden bewacht. Auch werden besondere Ereignisse neu protokolliert. Es wird dem Grundsatz «Sorgfalt vor Tempo» nachgelebt und die Resultate werden jeweils am Schluss vor der Übermittlung nochmals plausibilisiert.

(mra)


Es ist Zeit für Klarheit
Etwas mehr als ein Jahr nach den fast unglaublichen Vorgängen im Wahlbüro der Stadt Frauenfeld kommt es zu einer Anklage wegen Wahlfälschung. Damit nähert sich das, was als «Schande für die Demokratie» in die Geschichte eingehen wird, der rechtlichen Würdigung.
Man darf gespannt sein auf die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft. Sie hat in den vergangenen Monaten offenkundig sehr viel Zeit in die Ermittlungen gesteckt und sicher auch die jüngere und die ältere Vergangenheit von Tatverdächtigen ausgeleuchtet. Schliesslich kann es oftmals hilfreich sein, die Lebenslinie und die Verhaltensweise von Personen zu analysieren, um sie richtig einordnen zu können. Denn manche reden gut und handeln schlecht. Darüber hinaus kommen auf diese Weise oftmals völlig unerwartete Dinge ans Tageslicht.
Das Wichtigste im vorliegenden Fall liegt aber an anderer Stelle: Die Vorgänge am 15. März 2020 im Wahlbüro der Stadt waren offensichtlich kein Versehen, sondern ein bewusster, versuchter Betrug an der Öffentlichkeit. Und diese Öffentlichkeit – also wir alle – haben ein Recht darauf zu erfahren, was da genau passiert ist.
Unser demokratisches System muss mit allen Mitteln vor solchen Manipulationen geschützt werden!

Andreas Anderegg