Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 14.07.2021

Wahlbetrug: Ehemaliger Stadtschreiber schuldig gesprochen

Nach Unregelmässigkeiten an den Grossratswahlen im März 2020

Letzte Woche schaute alles nach Frauenfeld. Denn vor dem Bezirksgericht Frauenfeld musste sich der ehemalige Stadtschreiber von Frauenfeld, Ralph Limoncelli, wegen qualifizierter Wahlfälschung verantworten. Das Gericht sprach ihn schuldig, seinen Gang vor das Obergericht hat er unmittelbar nach der Verhandlung angekündigt.

 

 

Wegen des grossen Interesses der Medien und der Öffentlichkeit, fand der Prozess gegen Ralph Limoncelli letzte Woche nicht im Bezirksgericht, sondern aus Platzgründen in der Aula des Bildungszentrums für Technik statt. Dem Schuldspruch des Bezirksgerichts vom letzten Mittwoch – 12 Monate bedingt und eine Busse von 3000 Franken – ging am Dienstag eine lange Verhandlung voraus mit Plädoyers der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft, in der beide Seiten behaupteten, die andere erzähle «Quatsch».

Falze und Fingerabdrücke
Generalstaatsanwalt Stefan Haffter stützte sich auf die Theorie, dass der Beschuldigte noch eine Rechnung mit der GLP aus der Vergangenheit offen habe und erklärte haargenau, wie sich die Vorfälle am Wahltag und in den Tagen danach abgespielt haben sollen. Im Zentrum stehen 86 noch vorhandene, unveränderte Wahlzettel der SVP, die fast keine Gebrauchsspuren aufweisen. «Für Zettel, die durch unzählige Hände gewandert sind, ungewöhnlich», erklärte Haffter.
Diese Wahlzettel sind zudem nicht oder nicht vollständig gefaltet. Auf zwei Zetteln befanden sich zudem klar erkennbare Abdrücke des rechten Zeigefingers des ehemaligen Frauenfelder Stadtschreibers. Der kriminaltechnische Dienst der Kapo Thurgau habe sie in der unteren rechten Ecke im Bereich, der mit «leer lassen» markiert war, entdeckt. Stefan Haffter wertete diese Indizien als Beweise für Limoncellis Schuld, auch wenn er sagt, dass «die Beweisführung in diesem Fall äusserst schwierig war».

Zweite Beige verschwunden
Ein besonderes Augenmerk wurde von der Staatsanwaltschaft auch auf die Laufzettel gelegt. Denn auf diesen sei ersichtlich, dass nicht nur eine Beige mit 100 unveränderten Wahlzetteln falsch abgelegt wurde, sondern dass noch eine zweite Beige à 100 unveränderte Wahlzettel nicht auffindbar sei. Diese soll der Ex-Stadtschreiber laut Staatsanwaltschaft zu einem unbekannten Zeitpunkt vernichtet und durch 86 SVP-Wahlzettel, die er aus dem Reserve-Wahlmaterial geholt hatte, ersetzt haben. Verteidiger Peter Stieger stützte sich in seinem Plädoyer darauf, dass die Theorie zum Ablauf am Wahltag und in den Tagen danach – während der beiden Nachzählungen, die der Beschuldigte jeweils alleine vornahm – und jener der Staatskanzlei eine Woche nach der Wahl, der Fantasie der Staatsanwaltschaft entspringe.

Verwechslung von 06 und 09
Peter Stieger sagte, dass weder genau nachgewiesen werden könne, wie viel Ersatzmaterial wirklich vorhanden gewesen sei, weil die für den Versand zuständige Firma den Gemeinden jeweils zusätzlich überschüssige Unterlagen zustellt. Ausserdem gebe es kein elektronisches Zugangsverzeichnis und noch viele andere Personen hätten Zugang zu den Räumlichkeiten mit dem Ersatzmaterial.
Gemäss der Darstellung des Verteidigers gab es keine Wahlmanipulation. Falsch gezählt worden seien nur 100 Wahlzettel. Die Verteidigung stütze sich auf den Umstand, dass dies wohl mit dem Verwechslungspotenzial der Nummern der Wahllisten der GLP und der SVP –06 und 09 – zu tun gehabt hätte. Ausserdem seien die Laufzettel keine relevanten Dokumente, sondern nur ein Mittel zum Zweck. Daher würden sie auch nur mit Bleistift ausgefüllt.

Erfahrung im Wahlbüro
«Ein Ralph Limoncelli macht keinen Fehler. Und wenn Ralph Limoncelli doch einmal einen Fehler begeht, dann ist Ralph Limoncelli sicher nicht dafür verantwortlich», sagte Generalstaatsanwalt Stefan Haffter. Dieser Argumentation folgte dann auch das Gericht teilweise in seinem Schuldspruch. Gerichtspräsident René Hunziker erklärte in der Urteilseröffnung, dass das Gericht die Wahlmanipulation für erwiesen erachtet. Für die Richter in der Entscheidungsfindung ausschlaggebend waren die Laufzettel.
Der Gerichtspräsident untermauerte damit die Theorie der zu unberührt aussehenden 86 Wahlzettel. Denn auch an der Urne würden Wahlzettel gefaltet. Er wisse das als ehemaliges Mitglied eines Wahlbüros aus eigener Erfahrung. Auch Richterin Marianna Frei wisse das aus eigener Erfahrung, hat sie doch als Gemeindepräsidentin ebenfalls bereits ein Wahlbüro geleitet.

Den Fehler vertuschen
Ralph Limoncelli sei verantwortlich gewesen für den Fehler, der am Wahlsonntag passiert sei. Das sei ein grober Fehler. Sein Motiv für die Tat sei gewesen, dass eben dieser Fehler nicht bekannt werde und weder er noch die Stadt ihr Gesicht verlieren würden. Hingegen für nicht plausibel hielt das Gericht die Theorie, dass der ehemalige Stadtschreiber mit der GLP eine offene Rechnung habe begleichen wollen.
Bei der Strafzumessung zeigte sich das Problem, dass es in der Schweiz keine vergleichbaren Fälle von Wahlfälschung gibt. Mit einem bedingten Freiheitsentzug von zwölf Monaten bei einer Probezeit von zwei Jahren, bleibt das Gericht drei Monate unter dem Antrag des Staatsanwalts. Begründet hat der Gerichtspräsident diese Strafmilderung mit der Tatsache, dass es «durch die breite Berichterstattung der Medien eine gewisse Vorverurteilung» gegeben habe. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Michael Anderegg

 

 

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