Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 30.11.2022

Kulturschocks, verlorenes Gepäck und viel zu entdecken

Künstlerin Carole Isler in Kairo

Carole Isler nennt seit Anfang August Kairo ihr Zuhause. Sechs Monate darf die Frauenfelder Künstlerin dort im Künstleratelier des Kulturpools Regio Frauenfeld verbringen. In den bisherigen vier Monaten hat sie schon viel erlebt und auch schon entschieden, dass sie ihren Aufenthalt verlängern wird.

 

 

Carole Isler, wie geht es Ihnen in der Hauptstadt Ägyptens?
Ich fühle mich durch die ägyptische Sonne gestärkt.

Sie haben bald vier Monate hinter sich. Was war bisher Ihr persönliches Highlight?
Ich habe einen Malkurs bei Mohamed Abla im Fayoum Art Center besucht. Da habe ich viel gelernt. Den Veranstaltern gefiel meine Kunst. Nun haben sie mich gleich engagiert, einen mehrtägigen Workshop zu geben, der bald beginnt. Im Fayoum ist mir auch die Schweizer Botschafterin über den Weg gelaufen. Von ihr wurde ich zum Swiss National Day in ihrer Residenz eingeladen, wo es Raclette gab. Es ist spannend, sobald man hier etwas unternimmt, fliegt einem die nächste Gelegenheit zu.

Ich nehme an, für Sightseeing bleibt auch genügend Zeit?
Natürlich, auch die Ausflüge in die Wüste und der Besuch der Pyramiden und Museen waren Highlights.

Woran arbeiten Sie gerade?
Als ich ankam, fehlte mein Gepäck. Ich konnte nicht mit Malen beginnen, weil ich blockiert war durch die Ungewissheit, ob es noch ankommt oder verschwunden bleibt. So habe ich laufend in Malmaterial investiert. Kaum hatte ich einen Aquarellkasten gefunden, habe ich begonnen, die Gepäckgeschichte zu malen. «Caro in Cairo» zeigt mich nun als Cartoon-Charakter. Dies ist ein «Work in Progress»-Projekt, da sich ständig neue Episoden im Alltag ergeben, die sich bestens als Comic Strip eignen. Im Atelier experimentiere ich mit Öl auf Leinwand. Momentan arbeite ich an vier Bildern gleichzeitig.

Wie sieht Ihr Alltag aus und haben Sie bestimmte Zeiten, in denen Sie sich an Ihre Arbeiten setzen?
So oft wie möglich male ich im Atelier. Ich stehe auf, male und versuche, mich nicht vom vielfältigen Programm der Stadt ablenken zu lassen.

Sie haben vor Ihrer Abreise gesagt, Sie möchten Ihre Bildsprache weiterentwickeln. Ist das bisher gelungen?
Ja, ich male anders als bisher. Ich möchte versuchen, mich noch mehr vom Detail zu lösen, sodass das Figurative auch durch reduzierte Ausdrucksform erkennbar ist.

Was inspiriert Sie in Kairo besonders?
Die Menschen mit ihrer Offenheit, Freundlichkeit und ihrem Tatendrang sowie die besonderen Farben.

Was macht Ihnen am meisten Eindruck?
Die Zeitreisen und die optimistische Einstellung der Menschen.

Sie haben aber sicherlich auch Kulturschocks erlebt.
Ja, zum Beispiel Kinderarbeit oder auch in den Bereichen Tierhaltung oder Abfall. Ausserdem stiess ich auf Einschränkungen bei der Meinungsfreiheit und das Gefälle zwischen Arm und Reich ist sehr gross.

Wie läuft es mit den beiden Mitkünstlern und mit der Sprache?
Silja, eine der Mitkünstlerinnen, und ich besuchen zweimal die Woche einen Arabischkurs. Auch wenn wir erst die Grundlagen verstehen, gibt es unterwegs immer wieder kleine Erfolgserlebnisse. Die weitere Kommunikation verläuft mit Händen, Füssen und Skizzen. In unserem neuen Bekanntenkreis ist Englisch die Verständigungssprache.

Ende Januar sind die sechs Monate vorbei. Kehren Sie dann in die Schweiz zurück?
Nein, ich habe mich entschlossen, meinen Aufenthalt um zwei Monate zu verlängern. Ich darf bei einer einheimischen Freundin und im Darb 1718, Zentrum für zeitgenössische ägyptische Kunst und Kultur, bei dem ich mich für eine der Atelierresidenzen beworben habe, wohnen.

Warum die Verlängerung?
Kairo ist intensiv, die sozialen Strukturen komplex. Ich sehe bloss die äusserste Hülle dieser Vielschichtigkeit. Ich möchte gerne besser verstehen und mehr erfahren. Zudem hat mich auch die anfängliche Gepäckgeschichte gebremst.

Was vermissen Sie am meisten?
Natürlich einige Menschen und den Schweizer Alltag – und doch ist es genau der ägyptische Alltag mit seinen unberechenbaren Herausforderungen, der anregt und jeden Tag anders gestaltet.

Ein kleiner Blick nach vorne. Wie sehen die nächsten Monate aus?
Hauptsächlich Atelierzeit.

Und was ist mit Weihnachten?
Von Weihnachten hier habe ich schon viel gehört, da lasse ich mich überraschen.

Michael Anderegg