Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 27.07.2022

Die letzte Fahrt des Ober-Murgpiraten

Zum Gedenken an Carlo Sasso, den Gründer der Murgpiraten

 

 

Bereits früh als Kind kam ich in Kontakt mit der Fasnacht. Zusammen mit den besten Freunden aus der Nachbarschaft war eine Teilnahme am Frauenfelder Umzug und entsprechenden Vorbereitungen fest im Jahresablauf verankert. Wir waren die Kinder aus der Balierestrasse, an dem damals das Restaurant Murgbrücke ein bekannter Treffpunkt in der Niederen Vorstadt war. Dessen Wirt Carlo Sasso gründete 1982 die Murgpiraten. Seit diesem Zeitpunkt war mit den Murgpiraten an der Fasnacht Frauenfeld eine weitere Gruppierung neben den bekannten Vereinen vertreten. Zusammengehalten wurden die Murgpiraten von deren Oberpiraten, Carlo Sasso, der sie durch alle Gewässer führte. Er hatte immer gute, manchmal unkonventionelle Ideen, die häufig in die Tat umgesetzt wurden. Die Beizenfasnacht in der Murgbrücke habe ich als Kind nur aus dem Nachbarsfenster mitbekommen. Ich erinnere mich aber an einen grossen Kopf, der 1984 auf einem Floss in der Murg schwamm und alle Gäste begrüsste, die über die eigene Murgbrücke ins gleichnamige Restaurant eintraten. Dieser Kopf war in Grossgestalt derjenige von Carlo. Mein Vater hatte damals eine Lichtschranke auf der Brücke installiert, so dass jeweils die Stimme des überdimensionierten Carlo ertönte, wenn jemand in die Gaststube wollte. Jedes Jahr – auch während Corona, oder wenn sich die Murganesen etwas Neues einfallen liessen – fand am 11.11. um 11.11 Uhr beim Kulturgärtli, einem durch die Murgpiraten okupierten Stück Brachland der Stadt ennet der Brücke der Fasnachtsauftakt statt. Stets war eine kleine, illustre Schar anwesend, wenn Carlo in Uniform mit markantem Piratenhut seine Ansprache hielt und in neueren Zeiten «Krambambuli» ausschenkte. Dann folgte im Jahresverlauf der Wagen-Aufbau der Murg-piraten. Dieser fand immer mal wieder an einem anderen Ort statt – Carlo konnte auf viele Kontakte zählen. Zum Höhepunkt gehörte schliesslich die Teilnahme am grossen Frauenfelder Fasnachts-Umzug. Carlo liess es sich nicht nehmen, jeweils auf dem Murgpiraten-Schiff vom erhöhten Steuerstand allen Leuten zuzuwinken und die Schiffsglocke zu läuten. Legendär auch die Mehrfach-Umzugs-Teilnahme: So schleusten die Piraten in bester Freibeuter-Manier ihr Schiff beim Regierungsgebäude nochmals in den laufenden Umzug ein - bis zu dreimal wurden nochmals Bananen, Orangen und Allerlei verteilt. Auch beim Abschluss der Fasnacht spielten die Murgpiraten unter ihrem Oberpiraten eine wichtige Rolle. Das nach strengem Ritual ablaufende Piratenbegräbnis bildete mit der vielfach von Carlo gehaltenen Grabesrede ein krönender Schlusspunkt der Frauenfelder Fasnacht. Wenn der brennende Matrose den Fluten der Murg übergeben worden war, fand diese definitiv ihr Ende. Es blieb die Vorfreude auf die nächste närrische Zeit. Zuletzt liessen die Kräfte des Oberpiraten nach. Der Umzugswagen wurde entsprechend angepasst, damit Carlo trotz seinen Beschwerden teilnehmen konnte. Nun sollte die diesjährige Corona-Fasnacht ohne den traditionellen Umzug die letzte von Carlo Sasso sein. Sicher bleibt er in Erinnerung, wie er mit seinem Elektromobil in der Stadt unterwegs war – stets mit wehender Piratenflagge. Der Oberpirat der Murgpiraten hat am 18. Juli seine letzte grosse Fahrt angetreten. In unseren Erinnerungen wird er verbunden mit vielen Geschichten weiterleben. 

Urs Müller, Murgpirat