Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 08.03.2023

Interview mit Ueli Marti, Gemeindepräsident von Herdern

«Ich wünsche mir musikalisch gesprochen mehr Bassisten als Posaunisten»

 

 

Corona darf man mittlerweile ja getrost etwas aussen vor lassen. Das gibt Kapazitäten für anderes. Worauf liegt in den nächsten Wochen und Monaten der Fokus Ihrer Behörde?
Durch unseren frühen Wahltermin im September des vergangenen Jahres sind wir in der komfortablen Lage, bereits im Frühjahr das Resumée über die letzten 4 Jahre zu ziehen und gleichzeitig die Planung für die Folge-Legislatur anzugehen. Die Ortsplanungsrevision wird mit der überarbeiteten Inventarisierung der Natur- und Kulturobjekte einen Schritt weiter vorangebracht. Sobald diesbezüglich die Planungen vorliegen, kann die Gesamtrevision hoffentlich nach den Sommerferien der Bevölkerung präsentiert werden. Ein zusätzlicher Schwerpunkt, der uns mit Sicherheit in den folgenden Jahren begleitet, ist die weitere Erneuerung unserer Infra-
struktur vor allem im Bereich der Strassen. Erfreulich ist in diesem Zusammenhang die Zusammenarbeit mit dem kantonalen Tiefbauamt bei der Gestaltung und Sanierung unserer Ortsdurchfahrten, welche ich als konstruktiv und wertschätzend empfinde. Man soll schliesslich nicht nur kritisieren, sondern auch einmal ein Lob an richtiger Stelle aussprechen!

Was liegt Ihnen als Gemeindepräsident in den bevorstehenden Monaten besonders am Herzen?
Nach Jahren der bewussten Zurückhaltung wünsche ich mir, dass das gesellschaftliche Leben zurück in unsere Gemeinde kehrt. Im Sommer letzten Jahres durften wir mit «Herdern am langen Tisch» den Startpunkt in diese Richtung setzen. Dieser Anlass war sehr erfolgreich und auch die weiteren breit gefächerten Veranstaltungen vor Ort sind mittlerweile wieder gut besucht und stimmen mich in dieser Hinsicht froh. Wenn die Gemeinde etwas dazu beitragen kann, so haben wir immer ein offenes Ohr und unterstützen gerne.

Verdichtetes Bauen und Baulandreserven sind Dauerbrenner-Themen. Wie sieht die Situation in Ihrer Gemeinde aus?
Über Baulandreserven im Sinne von Richtplangebiet verfügen wir seit der letzten Ortsplanungsrevision von 2004 nicht mehr. Dies wird sich auch in der laufenden Revision voraussichtlich nicht ändern. Die noch nicht bebauten Grundstücke innerhalb des Baugebietes werden jedoch in den nächsten vier Jahren mit Bestimmtheit rar. Wir können davon ausgehen, dass zusätzlich rund 100 Wohneinheiten entstehen, was zu einer Bevölkerungszunahme von rund einem Viertel führen wird. In dieser Hinsicht wird es eine Herausforderung sein, diese neuen Einwohner zu integrieren und die notwendige Runduminfrastruktur zu erstellen.

Wenn Sie etwas in Ihrer Gemeinde – unabhängig von Geld oder Personen – sofort (ver)ändern könnten, was wäre das?
Ich möchte ja ungern meinen überaus geschätzten Berufskollegen der Jurisprudenz das Wasser abgraben. Aber es scheint mir der Regulierungswahnsinn ausgebrochen zu sein. Mir ist bewusst, dass uns das tägliche Zusammensein fordert und dass wir Grundregeln des Umgangs brauchen. Aber mehr auch nicht! Jedoch, so habe ich zumindest manchmal das Gefühl, wird der gesunde Menschenverstand gleich zum Vornherein ausgeschaltet, keiner will mehr Verantwortung tragen und schon gar keine Toleranz gegenüber andern üben. Wir engen damit unsere eigene Freiheit und unsere Handlungsspielräume selbst und oftmals ohne wirkliche Not ein.

Eine Gemeinde will und soll attraktiv sein zum Wohnen und fürs Gewerbe. Was zeichnet Ihre Gemeinde aus?
Wohnen und Arbeiten auf der Sonnenterrasse mit Weitsicht und dies nicht nur mit Blick auf die Berge gesprochen! Leider ist es jedoch so, dass die zur Verfügung stehenden Bauparzellen in den Wohn – und Gewerbezonen mangels konkreter Nachfrage allesamt dem Wohnzweck zugeführt werden. Ein gesunder Mix zwischen Wohnen und Arbeiten hier direkt vor Ort besteht nicht mehr. Es ist jedoch ohne weiteres möglich bei uns als Gewerbler sesshaft zu werden, da die Erschliessung in allen Bereichen gut ist und es genügend auch ältere Bauten gibt, welche umgenutzt werden könnten. Hier fehlt es manchmal an der nötigen Kreativität und dem guten Willen in einem gegebenen Rahmen eine Lösung zu finden. Aufgrund der zunehmenden Mangelware Boden bin ich jedoch in dieser Hinsicht zuversichtlich.

Was wünschen Sie sich von der Bevölkerung Ihrer Gemeinde?
Ich wünsche mir musikalisch gesprochen generell mehr Bassisten als Posaunisten im Sinne von tragfähigen, tatkräftigen Taktgebern, welche gerne zum Wohle aller wirken. Zudem ein kritischerer Umgang mit Informationen jedwelcher Couleur. Dazu reicht schon etwas Zeit zu investieren, selbst öffentlich zugängliche Informationen einzuholen und sich auf einer breiteren Informationsbasis eine eigene Meinung zu einem Thema zu bilden.

Vielen Dank für das Interview.

Michael Anderegg