Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 23.03.2023

Verträge und Bewilligungen im Buchformat

Welche Hürden gilt es zu überwinden als Organisator eines MXGP und wer ist wann und wofür zuständig? Ein Blick hinter die Kulissen des MXGP 2023.

 

 

Der Motorsport-Weltverband FIM ist vom Internationalen Olympischen Komitee allein berechtigt, Motorrad-Weltmeister zu küren – so auch Motocross-Weltmeister. Die FIM ist zuständig für Reglemente und Sanktionen, überträgt die Durchführung der Meisterschaften aber gegen Entgelt an private Firmen, im Falle der Motocross-WM seit 2019 an die Sportmarketing-Firma Infront mit Sitz in Zug. Infront gehört zur Dalien Wanda Group des chinesischen Geschäftsmanns Wang Jianlin. Infront organisiert und vermarktet über die Abteilung Moto Racing unter anderem die Motocross-WM und reist zu den Rennen mit 120 Angestellten und 18 Lastwagen an. Diese organisieren das Fahrerlager und das Pressecenter, wickeln die administrative Kontrolle von Teams und Fahrern ab, erstellen die Pitlane und die Startanlage mit darüber angeordneten VIP-Boxen, platzieren die Werbung an der Strecke, stellen mit einem mobilen Fernsehstudio die TV-Bilder bereit und sind zuständig für die Zeitnahme mit vier Sektorenzwischenzeiten. Die Einnahmen von Infront bestehen aus der Veranstaltergebühr, Werbe- und Sponsoring, Startgeldern der Rennteams und TV-Einnahmen.
Die FIM ist mit rund 25 Personen anwesend, die mit einer mobilen Klinik die ärztliche Versorgung sicherstellen und die Einhaltung der Reglemente überwachen. An der Schweizer WM-Runde ist der Schweizer Landesverband FMS mit seinen Kommissaren für die technische Abnahme der Rennmotorräder zuständig.
Die Rennen werden von nationalen Promotoren finanziert, in Frauenfeld von der Firma MXGP Suisse AG. Bereits die finanzielle Vorleistung gegenüber WM-Promoter Infront (sechsstellig) kann über einen Club oder Verein nicht abgewickelt werden. Als Veranstalter treten die FMS und der MRSV (Motor- und Radsportverein Frauenfeld) auf. Die Pflichten des Veranstalters sind geregelt in einem 57-seitigen Manual und umfassen unter anderem Bewilligungen, Bereitstellung des Fahrerlagers und von Büroräumen, der Kommunikations-Infrastruktur, den Pisten- und Tribünenbau, die WC-Anlagen, die Unterbringung der Infront-Crew und weiterer Gäste, den Ticketverkauf, das Programmheft, das Catering und die Gastronomie.
Der Veranstalter finanziert sich durch Ticketverkauf, Sponsoren, Werbung an der Strecke und im Programmheft und die Einnahmen der Gastronomie auf dem Rennplatz. Willy Läderach, Geschäftsführer der MXGP Suisse AG, verantwortet ein Budget im Umfang von 1,4 Mio. Franken.
Zusätzliche Schweizer Hürden
Von 2016 bis 2018 fanden auf der Piste «Schweizer Zucker» drei WM-Läufe statt, veranstaltet von der MXGP Suisse AG, die von zehn Investoren gegründet worden war. Die drei MXGP Switzerland waren mit bis zu 30 000 Zuschauerinnen und Zuschauern ein Publikumserfolg und wurden von Infront dreimal ausgezeichnet mit dem Award für die beste Veranstaltung des Jahres. Von Beginn an gab es aber Opposition von Umweltverbänden und Anwohnern gegen diese Veranstaltung auf dem Gelände der Zuckerfabrik. Damit verbunden kündigten die Behörden an, über 2018 hinaus keine Bewilligung für diese Veranstaltung mehr zu erteilen. Davon liessen sich die MXGP-Initianten aber nicht beirren und prüften insgesamt 29 potenzielle Standorte für einen MXGP, wobei man mit der Teststrecke der Firma Mowag in Bürglen TG ein geeignetes Gelände fand. Trotz ersten positiven Signalen und vorangegangenen Zusicherungen torpedierten die MXGP-Gegner am Ende aber auch diesen alternativen Standort – weshalb die Suche weiterging.

Vielleicht geht es ja doch … ?
MXGP-Initiant Willy Läderach hatte dann die zündende Idee: Getreu dem Motto «Not macht erfinderisch» präsentierte er im Juli 2022 am WM-Lauf von Loket (CZ) den Verantwortlichen von Infront seine Idee für einen WM-Lauf im Schollenholz. Am Standort des traditionellen Ostermontag-Motocross am Stadtrand von Frauenfeld also. Allerdings ist es nicht ideal, vom Fahrerlager zur Piste rund 600 Meter zurückzulegen und eine Kantonsstrasse zu benutzen. Zudem müssen die Zuschauer von den Parkplätzen bis zur Piste einen 20-minütigen Fussmarsch absolvieren und der Campingplatz ist noch weiter entfernt. Ausserdem werden die Trainings und erste Rennen am Samstag stattfinden, die WM-Rennen dann aber am Ostermontag. Dazwischen würde am Ostersonntag als einzige Attraktion wiederum ein Gottesdienst im Festzelt stattfinden. Dieser ist wegen den humorvollen Predigten von Pfarrer Samuel Kienast bekanntlich immer gut besucht und gilt als Geheimtipp. Trotz der nicht ganz idealen Situation stimmte Infront dem Projekt grundsätzlich zu. Dies mitunter wohl deshalb, weil die Schweiz mit vier fix eingeschriebenen Fahrern (Jeremy Seewer, Valentin Guillod, Mike Gwerder und Kevin Brumann) in der Motocross-WM vertreten ist.
Nachdem auch das Einverständnis der Schweizer Zucker AG (Fahrerlager), der Stadtschützen Frauenfeld (Eigentümer des Renngeländes) und mehreren Landbesitzern (für Parkplätze und Camping) vorlag, unterzeichneten OK-Präsident Läderach und sein Vize Max Möckli anlässlich des Motocross der Nationen in Red Bud/USA im September 2022 den 24-seitigen Dreijahresvertrag für MXGP-Veranstaltungen im Schollenholz bei Frauenfeld. An der GV von Anfang November gaben die Mitglieder des MRSV Frauenfeld daraufhin ihre Zustimmung. Für die wegfallenden Rennen für die Schweizer Meisterschaft am Ostermontag wird der MRSV anfangs August eine Ersatzveranstaltung im thurgauischen Braunau organisieren.
Die kantonalen Thurgauer Behörden haben nach Prüfung der eingereichten Unterlagen die Bewilligungsfähigkeit eines MXGP Switzerland im Schollenholz signalisiert. Nach Klärung von Detailfragen trafen die Bewilligungen des Gemeinderats Gachnang und des Stadtrats Frauenfeld ein. Damit konnte das zuständige Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau die definitive Veranstaltungsbewilligung erteilen. Diese umfasst acht Seiten mit 34 Punkten.
Die Piste im Schollenholz entspricht bis auf einen modifizierten Startbereich der Streckenführung an den Rennen zur Schweizer Meisterschaften in den Vorjahren. Zudem werden temporäre Tribünen mit 3500 Sitzplätzen erstellt. Für Parkplätze und Campingplatz werden 12 Hektaren Land angemietet. Die Zuckerfabrik Frauenfeld stellt einen 5 Hektaren grossen Platz mit befestigtem Untergrund für das Fahrerlager bereit, mit ausreichend dimensionierten Infrastrukturen für Frischwasser, Abwasser und Energie. Auch gibt’s Räume für Welcome-Office, Presscenter, Büros und Weiteres.
Zwei Wochen vor dem Rennwochenende wird es losgehen mit dem Aufbau. Die Crew von Infront trifft am Montag vor dem Osterwochenende, am 3. April, ein. Am Ostermontag werden allein vom Promotor MXGP Suisse und vom Veranstalter-Club MRSV Frauenfeld insgesamt 460 Personen im Einsatz sein. Schon im Laufe des Dienstags muss die Mannschaft von Infront wieder abreisen, um am Mittwoch in Pietramurata (Norditalien) mit dem Aufbau für die nächste WM-Runde zu beginnen.
Eine Professionalisierung hat übrigens nicht nur bei den Rennteams stattgefunden, die auf über 50 Personen angewachsen sind und die in eine Rennsaison bis 30 Mio. Franken investieren. Auch der organisatorische Aufwand für die WM-Rennserie ist nicht mehr vergleichbar mit einer nationalen Meisterschaft.
Angesichts des riesigen Aufwandes wird klar, weshalb ein Wochenend-Ticket für den MXGP Switzerland 90 Franken kostet – womit die Kosten gerade gedeckt werden. Gleichzeitig wird aber die Region Frauenfeld von Mehreinnahmen von schätzungsweise drei Millionen Franken in den Bereichen Gastronomie, Hotellerie, Gewerbe und Detailhandel profitieren.

Rolf Lüthi