Frauenfelder Woche

Frauenfeld · 20.09.2023

Demenz-Koffer und Vergissmeinnicht: Im Gespräch mit Urban Kaiser

Am diesjährigen Internationalen Tag der älteren Menschen (ITAM), am 1. Oktober 2023, verleiht Alzheimer Thurgau den Fokuspreis für die demenzfreundliche Stadt Frauenfeld an Urban Kaiser, Amtsleiter Alter und Gesundheit. Weshalb die Stadt Frauenfeld den Preis erhält und was sich Urban Kaiser für Menschen mit Demenz für die Zukunft wünscht, erzählt er im Interview.

 

 

Am ITAM 2023 wird Ihnen als Amtsleiter Alter und Gesundheit der Fokuspreis von Alzheimer Thurgau für die demenzfreundliche Stadt Frauenfeld verliehen. Wie kommt die Stadt Frauenfeld zu dieser Ehre?


Dank des vom 2016 bis 2019 andauernden Projekts «BOVIDEM – Gute Lebensqualität mit Demenz» kann sich Frauenfeld als Demenzfreundliche Gemeinde betiteln. Das Projekt haben Martina Pfiffner Müller von pfiffner beratung GmbH und ich geleitet und hatte zum Ziel, ein gutes Leben mit Demenz in Frauenfeld möglich zu machen.


 


Wurde das Ziel erreicht?


Frauenfeld ist heute mit Sicherheit demenzfreundlicher. Aber man kann immer noch mehr tun – fertig ist man nie.


 


Inwiefern ist Frauenfeld demenzfreundlich?


Durch das Projekt «BOVIDEM – Gute Lebensqualität mit Demenz» wurden bestehende Angebote und Dienstleistungen optimiert und neue ins Leben gerufen. Zum Beispiel profitieren wir heute vom Netzwerk «Demenzfreundliches Frauenfeld», das sich ein bis zwei Mal im Jahr trifft. Dieser Austausch ist sehr wertvoll. Ich bin überzeugt, wenn alle vernetzt arbeiten, kann den Menschen mit Demenz am besten geholfen werden. Aus dieser Zusammenarbeit entstand eine umfassende Broschüre, digital und analog, in der alle Anlaufstellen für Menschen mit Demenz aufgelistet sind. Ausserdem hat die Projektgruppe mittels verschiedener Massnahmen, wie zum Beispiel des Demenz-Koffers, die Bevölkerung zum Thema sensibilisiert. Zusätzlich wurden zahlreiche Schulungen angeboten, die den Umgang mit Menschen mit Demenz aufzeigen. Es haben sowohl verschiedene Unternehmen als auch engagierte Personen aus der Nachbarschaftshilfe oder dem Besuchsdienst davon profitiert.


 


Woher stammt der Begriff Demenzfreundliche Gemeinde?


Dieser Begriff entstand in einem kantonalen Projekt. Der Kanton Thurgau sah das Thema Demenz als Brennpunkt im Gesundheitswesen und startete deshalb das Projekt «Demenzfreundliche Gemeinde» im Jahr 2020, das ich, zusammen mit der damaligen Stadträtin Elsbeth Aepli, leiten durfte.


 


Wie kam es dazu?


Da das Projektteam von «BOVIDEM – Gute Lebensqualität mit Demenz» viel Know-How gesammelt und auch ein Konzept zur Hand hatte, haben wir dem Kanton Thurgau unsere Hilfe angeboten. Wir entwickelten Module, die eine Demenzfreundliche Gemeinde ausmachen. Nach Abschluss des Kantonalen Projektes im 2022 führte von da an bis heute Alzheimer Thurgau diese Module weiter und hilft allen Thurgauer Gemeinden, demenzfreundlicher zu werden.


 


Was ist in Ihren Augen der grösste Erfolg des Projekts «BOVIDEM- Gute Lebensqualität mit Demenz»?


Einerseits ist das entstandene Netzwerk «Demenzfreundliches Frauenfeld» sehr wertvoll. Andererseits bin ich stolz, dass wir die Vorarbeit des Projekts «BOVIDEM – Gute Lebensqualität mit Demenz» auch für das kantonale Projekt «Demenzfreundliche Gemeinde» benutzen konnten. So wurde unsere ursprüngliche Idee über die Frauenfelder Grenze hinaus in den ganzen Kanton Thurgau getragen.


 


Was hat es mit den bunten Blumen auf sich, die in beiden Projekten immer wieder auftauchen?


Diese Blumen symbolisieren ein Vergissmeinnicht. Uns schien das passend und es ist schön zu sehen, wie diese Blume im Zusammenhang mit Demenz heute im ganzen Kanton Thurgau anzutreffen ist.


 


Wieso braucht es überhaupt verschiedene Angebote, um demenzfreundlicher zu werden? Reichen Alterspflegeheime nicht aus?


Demenz ist ein Thema, das die ganze Gesellschaft tragen sollte. Betroffene Personen sollen in allen Lebenssituationen verstanden werden. Viele Demenzsymptome entwickeln sich langsam und die Betroffenen können in einer demenzfreundlichen Gemeinde länger selbständig leben. Auch sollen involvierte Angehörige und Bezugspersonen trotz ihrer anspruchsvollen Aufgabe gesund bleiben. Ausserdem wird das Thema auch hinsichtlich der demografischen Entwicklung immer wichtiger.


 


Wie sieht die demografische Entwicklung betreffend Demenz aus?


Bis im Jahr 2030 ist im Kanton von einer Zunahme der 80-Jährigen und Älteren um über 80 Prozent auf circa 21 500 auszugehen. Die Zahl älterer Menschen mit Demenz steigt voraussichtlich um 66  Prozent auf etwa 6200 Personen, also plus 3,6 Prozent pro Jahr.


 


Was empfehlen Sie als ersten Schritt, wenn eine Person Anzeichen von Demenz zeigt?


Das wichtigste ist, sich frühzeitig zu melden. Oft ist es der Hausarzt, der bei Anzeichen Demenz erkennen oder auch ausschliessen kann. Auch ist der Gang zu einer Beratungsstelle eine gute Lösung. Letztlich sind auch wir für alle Frauenfelderinnen und Frauenfelder da. Im Amt für Alter und Gesundheit ist Doris Wiesli Leiterin der Fachstelle für Alters- und Generationenfragen und kann als Gerontologin Betroffene und Angehörige gezielt weiterhelfen.


 


Was wünschen Sie sich für die Menschen mit Demenz für die Zukunft?


Ich hoffe, dass Menschen, die erste Anzeichen von Demenz bemerken, frühzeitig Unterstützung suchen und sich nicht alleine mit dieser Situation auseinandersetzen. Ich wünsche mir auch, dass die Betroffenen spüren, dass sie ein unterstützendes Umfeld haben, das sie versteht und trägt. Für das Umfeld und die Angehörigen hoffe ich, dass sie in der Lage sind, sich schrittweise von der betroffenen Person verabschieden können. Ich wünsche mir, dass sie diesen Prozess verstehen können und die betroffene Person begleiten, auch wenn es emotional sehr herausfordernd sein kann.


 


Gibt es etwas, das Sie der Bevölkerung noch mitteilen möchten?


Ja, sehr gerne. Ich freue mich sehr, dass Alzheimer Thurgau in Frauenfeld wieder ein Café Vergissmeinnicht für Menschen mit Demenz anbieten will. Sie wären in den Startlöchern, aber es fehlen noch freiwillige Mitarbeitende. Falls jemand Interesse hat, dieses Vorhaben zu unterstützen, darf sich gerne bei Alzheimer Thurgau melden. Ausserdem rufe ich alle Frauenfelderinnen und Frauenfelder dazu auf, sich bei Anzeichen auf Demenz wirklich frühzeitig beim Hausarzt, einer Beratungsstelle oder bei der städtischen Fachstelle für Alters- und Generationenfragen zu melden. Die Fachstelle ist für alle da und wir helfen gerne weiter. Denn ich bin überzeugt, mit der richtigen Hilfe ist eine gute Lebensqualität mit Demenz möglich.


(svf)